Gefühlte Zeit: von sanft bis widerborstig

Jedem seine Zeit: Zeit aus Papier gerissen oder zu Fäden gedreht zeigt die Gesellschaft für Bildende Kunst in ihren Trierer Ausstellungsräumen.

 Der Zeit auf der Spur: Irmgard Potthoff präsentiert ihre Arbeiten. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Der Zeit auf der Spur: Irmgard Potthoff präsentiert ihre Arbeiten. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Trier. (er) Die Erfahrung der Zeit ist ein zentrales Thema der modernen Kunst. Stanley Brouwn, der Niederländer, hat sie im Wortsinn durchmessen, und der Japaner On Kawara archiviert sie in Ordnern und Karteikästen. Irmgard Potthoff, deren Arbeiten derzeit in der Galerie Palais Walderdorff zu sehen sind, hat sich sinnigerweise Zeitungspapier als Dokumentation des Zeitgeschehens ausgesucht, um sich mit ihrer Lebenszeit auseinanderzusetzen. Denn um die geht es ihr: "Mein Thema ist meine Zeit und meine Stellung in ihr", erklärt die 1954 geborene und in Bochum lebende Künstlerin. Anders als ihre oben genannten vergeistigten Zeitgenossen gibt sich Potthoff ganz entschieden dem Zeitgefühl hin. In ihren Arbeiten aus gerissenem Zeitungspapier wird Zeit fühlbar, mal sanft wie ein Fell oder widerborstig wenn man die senkrecht angeordneten Blätter gegen den Strich streichelt. Der Reiz dieser Arbeiten liegt ohne Frage in der ästhetischen Qualität des bisweilen wie Pilzlamellen gefächelten Papiers mit seinen gerissenen Kanten, die je nach Hängung ganz unterschiedlich auf das Licht reagieren. Den Höhepunkt der Schau bilden die Arbeiten im Erdgeschoss und die kleinen Formate im Obergeschoss. Wie abstrakte informelle Gemälde wirken die "Zeitungsbilder". Bisweilen züngeln in der warmen Wohltemperiertheit des vergilbten Papiers rote Farbflammen wie zag aufflackernde - womöglich erloschen geglaubte - Leidenschaften. Bei entsprechender Entfernung verliert sich der Materialcharakter, die Papierkanten bekommen zeichnerische Qualität. Gegen diese feinsinnigen Bilder fallen Potthoffs Installation "Zeitklang" aus Papierfäden, deren Notenköpfe eher an Wollknäuel erinnern, ebenso wie die Rosen ihres "Lustgartens" (der sich auf Mozarts Don Giovanni bezieht) oder das Zeit-Strickzeug im Erdgeschoss ausgesprochen handwerklich handfest aus.

Bis 8. September, Di -Fr 11-13 u. 14-17 Uhr, Sa, So 10-13 Uhr, Tel.: 0651-37636, www.gb-kunst.de

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