Gegen alle Klischees

TRIER. Abschluss der vom Trierischen Volksfreund präsentierten Open-Air-Saison im Amphitheater: Mit Mozarts "Zauberflöte" gastierte eine herrlich verspielte, szenisch unkonventionelle und musikalisch respektable Opern-Produktion.

Oper auf Tournee, ein Schreckgespenst für echte Musiktheater-Fans. Veteranen, die vor 30 Jahren mal in einer Nebenrolle auf einer großen Bühne gastieren durften, firmieren als "Stars der Scala" in antiquierten Inszenierungen populärer Schinken mit dröhnenden Orchestern. So weit das (leider viel zu oft wahre) Klischee. Dass es auch völlig anders geht, beweist Wilhelm Keitels Produktion der "Zauberflöte". Der Dirigent und Theatermacher, bekannt geworden durch ein ambitioniertes Rossini-Festival auf der Insel Rügen, hat mit dem Stuttgarter Regie-Team Sylvia Wanke/Stefan Bastians eine Version erarbeitet, die den Vergleich mit großen Opernhäusern nicht zu scheuen braucht. Statt monumentaler Kulissen gibt es Anleihen beim Figurentheater, Jongleure, Gaukler, Stelzenläufer, Masken - und jede Menge überraschender, origineller szenischer Lösungen. Viele Rollen sind geteilt zwischen einem Sänger und einer Puppe, was ein zauberhaftes Spiel der Ebenen ermöglicht. Sieben Figurenspieler kreieren mit einfachsten Mitteln die jeweils passende Atmosphäre, vom gruseligen Zauberwald über die Poesie der Liebesszenen bis zum hohlen Pathos des Weisheitstempels. Es gibt reichlich turbulente "Commedia dell'arte", vor allem in den Szenen um den Naturburschen Papageno. Es darf gelacht werden in dieser Zauberflöte, aber die Handlung bleibt nie in Plattitüden hängen. Das doppelbödige Spiel lädt zum Nachdenken über die Charaktere ein und zertrümmert manches lieb gewonnene Bild, zum Beispiel über den "Bösewicht" Monostatos. Ein maskiertes Kind bringt die wichtigsten Utensilien herein, die Erwachsenenwelt reißt sie ihm aus der Hand. Trauen kann man in diesem Stück nur dem Kind gebliebenen Papageno, und, am Ende, den Liebenden Tamino und Pamina. Die Macht-Menschen aber bleiben undurchsichtig, egal ob sie dem vermeintlich guten Sonnenkreis Sarastros oder der vermeintlich bösen Unterwelt der Königin der Nacht angehören. Die beiden Feinde marschieren am Ende einträchtig hinaus, aber das Messer blitzt verdächtig in der Hinterhand.Manch radikaler Schnitt ist gewöhnungsbedürftig

Nicht alles ist schlüssig und konsequent in dieser Inszenierung. Gewöhnungsbedürftig manch radikaler Schnitt - die Eingriffe ins Stück sind heftig, aber für eine solche Open-Air-Produktion insgesamt noch vertretbar. Zumal das musikalische Material sorgsam behandelt wird. Wilhelm Keitel spielt mit seinem weißrussischen Orchester keinen Mozart für Kulinariker. Filigranes ist angesichts der die hohen Töne dezimierenden Verstärkung kaum drin, aber zügige Tempi, kräftige Dynamik und effektvolle Mitgestaltung des Bühnengeschehens. Keitel hält unter schwierigen Bedingungen (Orchester und Chor sind neben der Bühne platziert) den Laden souverän zusammen und treibt - engagiert bis zum Mitpfeifen der Vogelstimmen - die Akteure zu Höchstleistungen an. Die Besetzung kann sich sehen und hören lassen. Da bedürfte es nicht einmal des Stargastes Deborah Sasson, die an ihrem Geburtstag (!) eine liebevoll gestaltete, in den hohen Tönen allerdings etwas angestrengt wirkende Pamina abliefert. Joachim Hermann, kurzfristig eingesprungener Papageno, lässt trotz der für ihn sicher komplizierten szenischen Abläufe sängerisch nichts zu wünschen übrig. Bela Mavrak ist ein sattelfester Tamino, Anja Metzger eine spannende Königin der Nacht, Marko Woytowicz ein ungewohnt erfrischender Monostatos. Was am meisten überrascht, ist die geradezu luxuriöse Besetzung der kleineren Rollen. Papagena (Kathrin Frey), Sprecher (Teru Yoshihara), Geharnischter (Hansjörg Bührer), die Drei Damen, die gleichzeitig auch den Gesangspart der Drei Knaben übernehmen: Wo in Stadttheatern oft dritte Wahl ran muss, wird hier geklotzt. Einziger Schwachpunkt im Ensemble: Der nasal klingende, mit einem heftigen Akzent geschlagene, darstellerisch statische Sarastro von Alexandr Keda. Aber das tut dem gelungenen, vom 1200-köpfigen Publikum sehr freundlich aufgenommenen Abend im Amphitheater keinen Abbruch. Selbst die empfindliche Kälte, die den Atem der Akteure auf der Bühne gegen Ende sichtbar werden lässt, stört die gute Stimmung nicht. Freilich hat der Veranstalter, offenbar in vorauseilender Rücksichtnahme, die Bestuhlung so eng gestaltet, dass sich die Zuschauer durch unmittelbaren Körperkontakt wechselseitig wärmen - ob sie wollen oder nicht.

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