Gemischte Gefühle

Zum Auftakt des Rahmenprogramms der großen Anne-Frank-Ausstellung zeigte das Trierer Theater eine szenische Lesung aus dem Tagebuch des jüdischen Mädchens, das nach zweijährigem Aufenthalt in einem Amsterdamer Versteck in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs dem Nazi-Terror zum Opfer fiel.

Trier. (DiL) Nur wenige Dokumente haben den Holocaust so nachdrücklich in das Gedächtnis der Nachkriegs-Deutschen eingebrannt wie das Tagebuch der Anne Frank. Für viele eine Schul-Pflichtlektüre, brachten die Gedanken einer Jugendlichen das alltägliche Gesicht der Judenverfolgung den Gleichaltrigen näher, als die schrecklichsten Bilder es je vermocht hätten.

Ob das auch heute noch funktioniert? Die szenische Lesung am Theater Trier, vormittags für Schüler und abends für das allgemeine Publikum angeboten, konnte die Frage nicht endgültig beantworten.

Dabei ist das schwierigste Problem, die Auswahl der Texte, überzeugend gelöst. Man schiebt nicht die politische Ikone in den Vordergrund, sondern lässt die anfangs 13-Jährige ein pubertierendes Mädchen sein, mit allen - bisweilen sogar erheiternden - altersbedingten Gemüts-Aufwallungen. Dabei wird nichts verniedlicht, bleibt die Bedrohlichkeit der Situation stets präsent.

Was auch heute noch staunen macht, ist der sprachliche Reichtum, die Präzision der Gedanken - unvorstellbar bei einem halben Kind, das zudem jahrelang im Untergrund lebte und seine Verbindung zur Außenwelt nur Büchern und dem Radio verdankte.

Fabienne Hollwege spielt das unaufdringlich und genau, ohne die Peinlichkeit, die entstehen kann, wenn eine erwachsene Frau eine Kinder-Rolle verkörpert. Ihr Dialog mit dem Tagebuch, das sie "Kitty" getauft hat und wie eine Freundin behandelt, braucht keine zusätzlichen Personen. Das schreckliche Auf und Ab zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen dem unerträglichen Druck des Eingesperrtseins und den fiebrigen Gedankenflügen in die Freiheit wird gut herausgearbeitet.

Szenisch kommt die Aufführung mit minimalen Mitteln aus. Eine dunkle Kammer mit wenigen Requisiten, ein Fenster, das keinen Blick nach draußen erlaubt, Schwarzblenden, die die einzelnen Tagebuch-Einträge voneinander trennen.

So weit, so konsequent. Aber dann legt die Regie (Charles Muller) einen theatralischen Hollywood-Soundtrack von Erich Wolfgang Korngold unter die Szenenwechsel. Entweder man traut dem Text, oder man traut ihm nicht und macht ein Melodram daraus. Aber hier ist beides vermengt. Auch der Schluss verunglückt: Ein bisschen aufgesetzter Symbolismus mit einer abreißenden Hakenkreuz-Fahne, der Rest verläppert derart, dass die Schauspielerin bei der Schülervorstellung eigens mitteilen muss, dass das Stück aus ist.

Schade, verschenkt.

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