Gesichter des kollektiven Schocks

VÖLKLINGEN. 11. September- das Datum spricht für sich. So auch die Bilder der Magnum-Fotografen, die dem Terrorakt den Rücken und der Zerstörung sowie dem kollektiven Schockgefühl die Kamera zugewandt haben.

 Beeindruckende Architektur für ein grauenvolles Erlebnis: Aufnahme vom 11. September.Foto: Völklinger Hütte

Beeindruckende Architektur für ein grauenvolles Erlebnis: Aufnahme vom 11. September.Foto: Völklinger Hütte

Foto: Uli Barbian ( -lo-ISDN/Mail/Internet ELI@S-Bildarchiv Saarbrücker Zeitung)

Nichtsals Schutt und Asche. Wo- hin man auch sieht an diesemSpätnachmittag in den Straßenschluchten im Süden von Manhattan.Meterhoch stapelt sich der unter Staub und Asche begrabene Schuttgleich zu Beginn an der Wand vor einem - gerahmt vonausgemergelten, bröckeligen Betonwänden und hoch aufragendenStahlkonstruktionen. Das eine ist die Fotografie, das andere dieMöllerhalle in der Völklinger Hütte. Ein passender Ort für dieDokumentation eines erschütternden Unglücks. Denn der zurAusstellungshalle umfunktionierte Fabrikbau wiederholt und setztfort, was vielen der großformatigen Bilder der Foto-AgenturMagnum in der aktuellen Ausstellung "11. September" ohnehin alsRahmen dient: offen gelegte architektonische Gerüste aus Stahlund Beton. Auch die gelblich-weiße Farbe der Hallenwände dringtzu den Bildern vor, findet ihr Pendant in dem Staub, der sichnach dem Zusammensturz der Türme des World Trade Centers über dieStadt gelegt hat und unter dem neben Möbeln, Autos undTelefonzellen immer wieder auch Menschen auf den Magnum-Fotosauftauchen. Auch wenn man etliche dieser Bilder schon oft gesehen hat, ihre Wirkung haben sie nicht verloren. Dass die Arbeiten der elf Fotografen auch einen geradezu künstlerischen Anspruch haben, liegt vor allem daran, dass sie eben nicht der Versuchung erliegen, schlicht die Faszination am offenbaren Schrecken zu bedienen. Keine Fotos von immer und immer wieder explodierenden Flugzeugen (bis auf eine Eingangs-Sequenz), kein Blut, keine aus den Hochhäusern springenden Menschen. Etliche der rund 20 Bilder konzentrieren sich vielmehr auf den unmittelbar erfahrenen Schock, dessen verschiedene Gesichter mehr erzählen, als bildlich dargestellt ist.

Der Schock, dieser lähmende Zustand irgendwo zwischen Wahrnehmung und bewusstem Erleben, setzt ein mit ungläubigen, ja fast zweifelnden und verstörten Gesichtsausdrücken, die der Magnum-Fotograf Luc Delahaye mit dem Rücken zu den brennenden Türmen festgehalten hat.

Als die Türme einstürzen und eine Staub-Lawine fliehende Menschen vor sich her durch die Straßenschluchten treibt, ist der Zweifel gewichen. Auf gut drei mal vier Meter großen Fotografien von Gilles Peress laufen dem Betrachter in einem der ehemaligen Siloräume der Möllerhalle von mehreren Seiten Menschen entgegen, die versteinerte Mienen vor sich hertragen - Menschen, bei denen der Schock flatterhafte Panik im Keim erstickt hat. In diesem Raum entfalten die Bilder eine beeindruckende unmittelbare Wirkung. Die aufrecht zu erhalten, gelingt der Ausstellung trotz des passenden Ambientes allerdings eher selten. Zu schmal ist der Hallengang für die Wirkung ebenfalls meterhoher Fotografien. Vertan auch die Chance, am Ende des langen Ganges ein aussagekräftiges Bild als Fluchtpunkt anzubringen, auf den man sich beim Durchwandern der Ausstellung zubewegt.

Steve McCurrys Schwarzweiß-Foto eines verwüsteten Zimmers, das an dieser Stelle hängt, ist erst wenige Meter davor zu entziffern. Um die Ecke und etwas versteckt hängt, was am Ende des Ganges besser aufgehoben wäre: Larry Towells Fotografie von einem Mann, der mitten auf einer mit Staub und Schutt überzogenen Straße ein angesengtes Blatt Papier aufgehoben hat und es gedankenverloren liest. Vielleicht das stärkste Bild der Ausstellung.

Mit dem 11. September hat sich das Weltgefüge und die Ordnung der globalen Mächte nachhaltig verändert. Allerorten blickt man seither gebannt auf die Dominanz und die "Gestaltungskraft" Amerikas. Vom heutigen Irak-Krieg konnten die Magnum-Fotografen seinerzeit freilich nichts wissen. Die kleinen Bilder mit winkenden US-Fahnen am Ende der Ausstellung, Zeichen für das Erstarken des Nationalgefühls nach den Anschlägen, scheinen aus heutiger Sicht allerdings die bittere Antwort der Amerikaner auf den weltweiten Terror bereits in sich zu tragen. Und die lautet offenbar wiederum: nichts als Schutt und Asche.

Bis 5. Okt., 10 bis 19 Uhr.

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