Gesprengter Rahmen

Trier. In Kooperation mit dem Théâtre National du Luxembourg führte das Theater im Pfalzbau das Drama "Pessach" von Laura Forti im großen Haus in Trier auf. Unter der Regie von Hansgünther Heyme geriet es zu einem überzeugenden Theaterabend.

Heile Welt - ein Wunschtraum vieler Menschen. Nur keine Konflikte, nur kein Streit. Immer schön an der hochglanzpolierten Oberfläche bleiben. Wo geht das besser als bei einer Familienfeier? Da kann man von alten Zeiten reden, als die süßen Kleinen noch pummelig waren, Tante Erna noch lebte und Onkel Franz sich über den Apfelkuchen her machte. Unwillkürlich ist man an Walter Kempowski und seinen Roman "Tadellöser & Wolf" erinnert, in dem Mutter Tadellöser immer wieder sagt: "Ach wie isses nun doch schön." Die leeren Hülsen der Tradition

Die italienische Schriftstellerin Laura Forti hat sich dieser Situation angenommen - allerdings aus jüdischer Sicht. Irgendeine jüdische Familie am Ende des letzten Jahrhunderts bereitet sich in einer italienischen Großstadt auf den Sederabend vor, der an den Auszug aus Ägypten erinnert. Es sollen alle Vorschriften genau eingehalten werden, vom siebenarmigen Leuchter über die Bitterkräuter bis hin zum Verlesen der Haggada, der Auszugsgeschichte aus dem Buch Exodus. Hansgünther Heyme hat für das Ludwigshafener Theater im Pfalzbau in Kooperation mit dem Théâtre National du Luxembourg und dem Trierer Stadttheater dieses Stück in Szene gesetzt und lässt das Publikum ab der Stelle teilhaben, an der die kettenrauchende Mutter (Elke Petri) mit brennendem Leuchter auf ihre Töchter Nora (Brigitte Horn) und Betta (Evelyne Cannard) sowie ihren Sohn Giorgio (Martin Lindow) wartet. Das Drama der Familienfeier kann beginnen. Was dem Publikum geboten wurde, ist sozialkritisches Theater par excellence, bei dem auf amüsant-ernsthafte Weise die leere Hülse von Tradition und intakter Familie ausgeleuchtet wird. Heyme wagt den Spagat, der ihm mithilfe der Schauspieler ausgezeichnet gelingt, das Publikum zu unterhalten und ihm eigentlich einen Spiegel vorzuhalten. Der vorgegebene Rahmen der intakten Familie passt vorne und hinten nicht. Angefangen vom alkoholabhängigen Vater, der auch noch katholisch ist, über den schwulen Sohn, die Polizistin Nora, die an ihrem drogenabhängigen Sohn verzweifelt, und die palästinenserfreundliche Betta, die ihre sichere Stellung für die Schriftstellerei aufgeben will, bis hin zur Mutter, die sich aus der Realität in die Erinnerung an die in Auschwitz ermordete Verwandtschaft flüchtet. Der Rahmen wird gesprengt und fliegt den Zuschauern um die Ohren. Allen Schauspielern, die vor einer trostlos beeindruckenden Kulisse von plattenbauähnlichen Hochhäusern agierten, muss man uneingeschränkten Respekt zollen. Respekt auch, weil sie, gemessen an der Größe des Theaters, nur vor einer Hand voll Zuschauern spielen mussten, die im großen Saal freie Platzwahl hatten. Nachdem von den geplanten zwei Aufführungen schon die erste abgesagt war, rätselte man, ob denn die zweite stattfinden würde. Grund hierfür war, dass die Zugänge zu den Plätzen bis unmittelbar vor der Aufführung gesperrt blieben. Vermutung eines Zuschauers: "Die würfeln wohl gerade darum, ob sie überhaupt spielen sollen."

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