Gesucht und gefunden

TRIER. Revolutionär geht es dieser Tage auf der Probebühne des Theaters zu. Dekadente Adlige, rabiate Revoluzzer und grenzenlos Liebende sind das Personal der Oper "Andrea Chenier". Und hinter den Kulissen führt ein außergewöhnliches Team Regie.

 Besondere Ausstattungs-Accessoires für eine besondere Produktion: Bühnenbildner Francois Valentiny (links) und Regisseur Bisser Schinew beim Gespräch im Treppenhaus des Trierer Theaters. TV-Foto: Dieter Lintz

Besondere Ausstattungs-Accessoires für eine besondere Produktion: Bühnenbildner Francois Valentiny (links) und Regisseur Bisser Schinew beim Gespräch im Treppenhaus des Trierer Theaters. TV-Foto: Dieter Lintz

Schon rein äußerlich könnten die beiden Herren kaum gegensätzlicher sein. Bisser Schinew, der Regisseur, ist ein Ruhe ausstrahlender, untersetzter älterer Herr mit Glatze und Kugelbauch. Francois Valentiny, der Bühnenbildner, ist hochaufgeschossen, verfügt über einen imposanten Haarschopf und verbreitet selbst im Sitzen eine gewisse Unruhe. Schinew wirkt, wenn er öffentlich reden soll, so entspannt wie auf einem Zahnarztstuhl vor der Weisheitszahn-Extraktion. Valentiny plaudert, wenn ein Mikrophon in der Nähe ist, so eloquent wie ein Christiansen-Stammgast. Der gebürtige Bulgare Schinew ist ein Opern-Veteran mit 80 Inszenierungen, der Luxemburger Star-Architekt Valentiny legt zum ersten Mal Hand an ein Bühnenbild. Und doch scheinen sich da zwei gesucht und gefunden zu haben - so als wollten sie der alten Phrase von den Gegensätzen, die sich anziehen, neues Leben einhauchen. "Dieser Mann ist ein Edelstein", sagt der Regisseur über den Ausstatter. "Ich habe so viel von ihm gelernt, dass mich fast Neidgefühle plagen", sagt der Ausstatter über den Regisseur."Dieser Mann ist ein Edelstein"

Das Werk, das die beiden zusammengebracht hat, gilt dem wohlklangsüchtigen Publikum als tränenrührendes Melodram - und naserümpfenden Opern-Experten als kitschiger Schinken. Dabei ist "Andrea Chenier" weder das eine noch das andere, jedenfalls, wenn das Stück gut dirigiert und inszeniert wird: eine dramatische, effektvolle, keineswegs unpolitische Geschichte um fehlgeleiteten Idealismus, die Gefahren der Macht und die (Un-)Möglichkeit, unter katastrophalen gesellschaftlichen Verhältnissen glücklich zu überleben. Vielleicht vertragen sich die beiden Macher so gut, weil sie gemeinsam einen Mittelweg zwischen spießigem Realismus und wilder Dekonstruktion suchen. Zu weit weg vom Original, das verträgt sich nicht mit dem, was Schinew "meine Regiemoral" nennt. Aber eins zu eins die uralten szenischen Vorgaben aus dem 19. Jahrhundert umsetzen, das wiederum will Valentiny auf keinen Fall. So entsteht eine auf den ersten Blick skurrile szenische Landschaft, die manchen Besucher beim sonntäglichen "Theatercafé" staunen lässt. Surrealistisch geschwungene Stühle, bandagierte Pappmaché-Köpfe, eine Liege wie aus dem expressionistischen Kabinett des Dr. Caligari: Das ist weitab vom üblichen Chenier-Ambiente. Kein Wunder: Valentiny hat diese Oper zwar oft gehört, aber noch nie gesehen. "Ich war in meinen Bildern vollkommen frei", sagt der Architekt, dessen neues Salzburger Mozart-Festspielhaus im zurückliegenden Sommer mit dem "Netrebko-Figaro" eröffnet wurde. Des Bühnenbildners freie Assoziationen waren genau das, was der - kurzfristig für den erkrankten Intendanten eingesprungene - Regisseur haben wollte. "Mich interessiert keine Dokumentation der französischen Revolution", betont Bisser Schinew, "ich will eine Situation schildern, die es auf der Welt in jedem Augenblick gibt." Auf das Trierer Ensemble und das Team der Technik lässt das Duo nichts kommen. "Superkollegiale Arbeit" attestiert Valentiny der Truppe. Und wie überstand der ansonsten gewohnheitsmäßig mit Millionen jonglierende Baumeister die Beschränkung auf die sparsamen Mittel des Theaters? "Mit viel Fantasie und viel Disziplin lässt sich auch aus wenig Geld eine Menge machen", sagt der Luxemburger. Und knipst ein Auge, als wollte er sagen: Lass das bloß nicht meine Bauherren hören.

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