Gipfelsturm zu Mahler

Nicht nur Mahlers Erste gehörte zu den Hürden des 4. Sinfoniekonzerts. Auch Beethovens 4. Klavierkonzert stellte die Solistin Kim Barbier und das Philharmonische Orchester unter Generalmusikdirektor Victor Puhl vor große, aber nicht unlösbare Aufgaben.

Trier. Wie machtvoll, wie vielschichtig ist Beethoven! Wie heikel, wie diffizil ist dieses 4. Klavierkonzert, dessen leiser, bedächtiger Beginn schon das Potenzial fürs ganz Große birgt! Kim Barbier intoniert die ersten Takte zart, feingliedrig, aber auch unvermittelt und mit einer Spur jugendlicher Naivität. Und die Streicher des Philharmonischen Orchesters Trier beantworten die Vorgabe sorgfältig, aber ohne die geheimnisvolle Spannung, die diese Musik entbinden kann.

Nein, nicht nur Mahlers Erste gehörte zu den Hürden, die Victor Puhl im 4. Sinfoniekonzert gesetzt hatte. Mit dem Beethoven-Konzert hatten sich der Trierer Generalmusikdirektor, die Philharmoniker und die junge französische Pianistin an den Stil gewagt, der im Trierer Theater mit am schwierigsten zu realisieren ist: die Wiener Klassik.

Kim Barbiers Technik ist exzellent. Die Läufe, die Figuren, die Verzierungen, schwierigen Doppeltriller im ersten Satz geraten makellos und gestochen scharf.

Der Klavierklang berückt mit Transparenz und filigraner Feinheit. Aber es fehlt etwas: die Wärme, die Klang-Tiefe, die Sangbarkeit der melodischen Linie, es fehlen - noch - die Ruhepunkte. Manche Passagen gerinnen zu einer fast ikonenhaften Starre. Und das Philharmonische Orchester beschränkte sich vielfach auf Begleitung, ohne zu gestalten.

Die prägnanten Themen im Kopfsatz blieben ohne Charakteristik und Innenspannung. Selten nur klang die faszinierende Verbindung aus Intimität und Stringenz auf, die dieses Konzert so einzigartig macht. Allein das nachdrücklich musizierte Thema des langsamen Satzes und die euphorische Energie im Finale hoben sich vom Durchschnitt ab. Kim Barbier entfaltete ihr Potenzial erst in einer Ausnahmesituation. Die große Original-Kadenz im Kopfsatz, in dem sie sich ohne Rücksicht auf den Begleit-Apparat ganz auf sich und die Musik konzentrieren kann, sie gelang ihr wunderbar beredt, atmend, singend und beweglich. So ausdrucksstark kann Beethoven sein!

Sie waren nur Intermezzi, die beiden modernen Kompositionen - Arvo Pärts "Cantus", ein Klangflächenstück mit Anbindung an die Harmonik der Frührenaissance, und Dieter Schnebels "Mahler Moment", ein halb witziges, halb ernsthaftes Potpourri aus Mahlerschen Stilmomenten. Es ging ja in diesem Konzert vor allem um Mahlers Erste. Sicherlich: Einem Orchester, das mit Mahler nicht vertraut ist und zur Hälfte aus externen Verstärkungen besteht, unterlaufen Unschärfen und, stellenweise, Balanceprobleme. Gewiss: Das Finale geriet Puhl und seinen Philharmonikern nur laut und nicht so verzweifelt wild, wie es Mahler vorschwebte.

Und doch bleibt auch im Nachklang faszinierend, mit welch enormer Intensität dieser Klangkörper den Gipfelsturm zu einem der großen sinfonischen Höhepunkte angeht, wie vor allem einige Bläser über sich hinauswachsen und wie die Konzentration der Musiker beim Zuhören fast körperlich spürbar wird. Zumal Victor Puhl klug und bescheiden nicht auf die emotionalen Abgründe dieser Komposition zielte, sondern auf den freundlichen und fröhlichen Naturlaut - und daraus ein unerwartet breites Gefühlsspektrum entwickelte.

Die bodenständige Markanz im Scherzo mit einem verschmitzt-charmanten Trio gehört dazu und vor allem der langsame Satz. Da gelingt vom einleitenden Kontrabass-Solo an eine hinreißende Verbindung aus melancholischer Volks-Stimmung, obskuren Militärklängen, wehmütiger Operetten-Eleganz und liebevoll einschmeichelndem Weltschmerz. Ein frühzeitiger Abgesang auf das alte Österreich der k.u.k.-Ära, eine Vielfalt von scheinbar trivialen Assoziationen, die sich zu einem Komplex jenseits aller Trivialität zusammenfügen. Der Jubel war groß im voll besetzten Trierer Theater. Vielleicht klang dabei auch Erleichterung mit. Denn der befürchtete Streik der Musiker, er war gottlob ausgeblieben.

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