Gleißende Finsternis oder Warten auf Godunov

TRIER. Ein Stück wie aus dem Tollhaus: Das Licht geht aus, und in der Dunkelheit wird erst so recht sichtbar, was man im Schutz der Helligkeit verbergen kann.

Wenn der Vorhang hochgeht, wird es düster. Aus der Tiefe des schwarzen Raumes tönen Stimmen eines Paares, untermalt von den markigen Klängen von Sousas "Stars and Stripes". Plötzlich gerät die Musik ins Jaulen, und unvermittelt wird die Bühne in grelles Licht getaucht. Und obwohl wir von diesem Moment an alles sehen, tappen die Akteure im Finstern. Verkehrte Welt in dieser "Komödie im Dunkeln" von "Equus"- und "Amadeus"-Autor Peter Shaffer.Der Bildhauer Brindsley Miller erwartet den russischen Millionär Godunow, der ihm nicht nur Geld für seine bizarren Kunstwerke, sondern auch den internationalen Durchbruch versprochen hat. Um sich vor dem reichen Mann nicht mit seiner schäbigen Künstlerbehausung zu blamieren, hat Brindsley mit Freundin Carol kurzerhand die Wohnung des wohlhabenden Nachbarn ausgeräumt. Kaum stehen die Möbel, brennt die Sicherung durch. Der Rest des Abends findet weitgehend im Dunkeln statt - für die Schauspieler. Sie stolpern durch bühnenhelle Finsternis, rennen gegen Tische, Türen und gegeneinander und fummeln stets am falschen Po ‘rum.Die Idee kommt aus dem Fernen Osten

Die Idee ist hübsch, aber nicht original Shaffer; sie kommt vielmehr aus dem Fernen Osten, wo die Peking-Oper mit dem "Gasthaus an der Wegkreuzung" die Steilvorlage für diese "Komödie im Dunkeln" geliefert hat.Klaus-Dieter Köhler hat das Werk des britischen Dramatikers am Theater Trier auf die Bühne gebracht. Es ist eine ganz ordentliche Inszenierung, deren größter Fehler freilich die (von Shaffer nicht vorgesehene) Pause ist, was die ausgelassene Stimmung leider zerschneidet. Dennoch gelingen Köhler einige farcenhafte Glanzpunkte, schafft er stellenweise eine zum Brüllen komische Choreographie des Chaos‘ (in der zeilenweise Dialoge im Publikumsgelächter untergehen), was allerdings auf Kosten der psychologischen Tiefenschärfe der Charaktere geht. Tim Olrik Stöneberg als Brindsley beweist zwar bewundernswerte Slapstick-Qualitäten, agiert ansonsten aber mehr als Karikatur denn als Mensch. Ebenso holzschnittartig ist Manfred-Paul Hänigs Colonel Melkett als militaristische Knattercharge angelegt. Doch den Vogel schießt Pia Rövers Carol ab, die als knalldoofe Maler-Muse total überzeichnet ist, dazu mit einer Stimme reden muss, an der man sich nach zehn Minuten mehr als sattgehört hat. Leider hat sie eine Menge Text zu kreischen.Mit solchen Übertreibungen verwirkt Köhler die Gelegenheit zumindest bei diesen Figuren, deren durchaus ernsthaft-tragische Seiten herauszuarbeiten. Von Sympathie keine Spur, obwohl sich manche im Lauf des Abends ganz schön entblößen und durchaus unser Mitgefühl verdient haben.Zum Beispiel die strenggläubig-bigotte und abstinente Nachbarin Miss Furnival, die im lichtlosen Raum die Wonnen des Alkohols und die Berührungen männlicher Hände an delikaten Körperstellen schätzen lernt. Verena Rhyn gelingt der Schritt von der typisierten Altjungfer zu einer Frau, die mit einiger Schockiertheit die versteckte Seite ihrer Persönlichkeit kennen lernt und kleinlaut und verschämt von der Szene verschwindet. Auch Reinhard Bock vermag seinem Harold Gorringe, Brindsleys schwulem Nachbar, ein paar ebenso urkomische wie tieftraurige Züge zu verleihen und schafft damit einen überzeugend runden Charakter, der anrührend ist in seiner tuntigen Lächerlichkeit. Sehr kühl und sehr souverän agiert Nadine Kettler als Tabula-rasa-machende Rachegöttin Clea, Brindsleys Ex-Freundin, die den eckigen Künstler für sich zurückzugewinnen vermag (warum will sie den eigentlich?). Hans-Peter Leu als Elektriker Schupanski und Heribert Schmitt als Godunov, auf den das Warten sich allerdings auch nicht gelohnt hat, weil er - wortwörtlich - in der Versenkung verschwindet, komplettieren die Mannschaft.Heuchelei ist ein Thema mit Ewigkeitswert

Natürlich ist die Patina dieser 1965 in London uraufgeführten "Komödie im Dunkeln" unübersehbar, nicht nur in der skurrilen Kunst auf der Bühne (Wolf Wanninger) und den zeitgeistgerechten Kostümen (Carola Vollath), sondern auch in der Behandlung zwischenmenschlicher Beziehungen. Die angedeutete Homo- beziehungsweise Bisexualität von Brindsley und seinem Nachbarn, die spät erwachte Lust des alten Fräuleins - das mag seinerzeit das Zeug zum Skandälchen gehabt haben, wirkt aber heutzutage, wo jede(r) mit jede(m) darf und tut, reichlich altmodisch. Aber das ist ja auch nur ein Aspekt der Story, in der es vor allem darum geht, dass man die im Dunkeln sehr wohl sehen kann - deutlicher, als ihnen lieb ist. Und da Heuchelei ein Charakterzug mit Ewigkeitswert ist, bleibt dieses Stück Enttarnungskunst durchaus aktuell. Die nächsten Aufführungen: 26. 2.; 2., 7., 20., 26. u. 31. 3.; Karten: 0615/718-1818.

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