Gräfin, wir sind so schrecklich vornehm …

Trier · Ziemlich bi, dafür weniger britisch als das Original: Gerhard Willert inszeniert Oscar Wildes erfolgreichste und verrückteste Komödie "Ernst ist das Leben" alias "The Importance of Being Earnest" am Theater Trier.

 Nadia Migdal glänzt als Gwendolen, Tochter der dünkelhaften Lady Bracknell , die den nicht standesgemäßen John (Claudio Gatzke) zu heiraten gedenkt. Foto: Theater, ArtEO

Nadia Migdal glänzt als Gwendolen, Tochter der dünkelhaften Lady Bracknell , die den nicht standesgemäßen John (Claudio Gatzke) zu heiraten gedenkt. Foto: Theater, ArtEO

Foto: (g_kultur

Trier Der Tag beginnt, und Algernon betritt in Boxershorts den Salon seines Apartments in London und lässt sich von seinem Butler Lane beim Anziehen helfen - beziehungsweise gleich anziehen. Man ist sehr vertraut miteinander; der Diener darf sogar am Hosenschlitz seines Herrn justieren, was der Justierung bedarf. Und da man einander ohnehin liebevoll zugetan ist, scheuen die beiden Herren auch nicht vor weiteren körperlichen Berührungen zurück. Ein vielversprechender Anfang also und gewiss im Sinne des Autors: Oscar Wilde liebte Männer und musste, der gesellschaftlichen Konventionen wegen, auch eine Frau lieben (oder mindestens so tun).
Deshalb ist mit Reverenz an den Dichter die Kompassnadel der sexuellen Orientierung in dieser Inszenierung nicht durchgehend genordet; auch nach Süden schlägt sie aus, will sagen: Männer sind Männern ebenso zugetan wie Frauen Frauen. So locker-frivol startet "Ernst ist das Leben" in der Interpretation des Regisseurs Gerhart Willert und der Übertragung von Elfriede Jelinek. Dieser Grundton, zum Auftakt perfekt angeschlagen von Julian M. Boine als Algernon und Christian Beppo Peters als Diener Lane (später wird er in die Rolle des ebenso formvollendet steif-spitzbübischen Butlers Merriman schlüpfen), zieht sich durch die gesamten drei - in der Trierer Version unterteilt auf zwei - Akte.
Wobei, das sei gleich vorausgeschickt, das Frivole hier und da abrutscht in Regionen, in denen sich Lane eingangs bei seinem Dienstherrn zu schaffen macht, was nun gewiss nicht im Sinne des Autors (und vielleicht auch nicht Jelineks) gewesen ist, hatte der Dandy und Gentleman Wilde die Contenance doch mit der Muttermilch aufgesogen und auch seinen Wortschatz (zumindest in der Öffentlichkeit) peinlich sauber gehalten.
Spätestens mit dem Auftritt von Algernons Freund John erhält der Grundton jedoch einen schrillen Beiklang, denn Claudio Gatzke rumpelstilzt sich als angriffslustiger Poltergeist durch seinen Part und bringt eine ungesunde Hektik ins Geschehen. Das mag als Kontrast zeitweilig lustig sein; mit Boine liefert er sich manch geschliffenes Wortgefecht, obwohl beide den Mund vollgestopft haben mit Gurkensandwiches, die reichlich verzehrt werden; für zweieinhalb Stunden reicht die Komik allerdings nicht.
Das Herrenquartett wird vervollständigt von Max Roenneberg, der sich in seiner wenig ergiebigen Rolle als Pastor Chasuble, der selbst in seiner Freizeit das Messgewand nicht ablegt, zumindest wacker schlägt. In der Damenriege glänzen Barbara Ullmann als standesbewusste Lady Bracknell, deren adlige Welt von düsteren Wolken überschattet wird, als sie erfährt, dass ihre Tochter Gwendolen eben jenen John zu ehelichen gedenkt, der in einer Reisetasche im Gepäckfach der Victoria Station gefunden wurde und daher auf keinerlei Herkunft zurückblicken kann. Nadia Migdal spielt selbstbewusst und trotzig über alle Standesdünkel hinweg jene Gwendolen und leistet dennoch - wohl um des lieben Friedens willen - wie ein Hündchen jedem Befehl der Mama Folge. Gina Hallers Cecily ist eine ziemlich ruppige Göre, eher Luder als Lady, deren skurrile Gewandung - halb Wohnzimmergardine, halb Hochzeitskleid - ihr zumindest Beinfreiheit für ihre akrobatischen Auftritte gewährt. Gitte Repin schließlich, in strenges Schwarz gekleidet, ist eine stocksteife und gewissensgeplagte Miss Prism (und für ihre Rolle viel zu jung); schließlich war sie es, die jene Reisetasche im Bahnhofsschließfach gelassen hatte, wo sie eigentlich ihren dreibändigen Roman deponieren wollte, der seitdem leider verschollen ist. Ein bissiger Seitenhieb Wildes auf die Damen der guten Gesellschaft, die sich mangels anderer Beschäftigungen (und oft genug trotz mangelnden Talents) literarisch betätigten.
Es hätte der Inszenierung nicht geschadet, wenn hier und da ein Satz oder eine Passage dem Rotstift zum Opfer gefallen wäre; so hatte der Abend durchaus seine Längen. Auch die berühmten Wilde'schen Bonmots und Aperçus, von denen sich einige über das Stück verteilen, funkelten nicht so leuchtend, wie sie es verdient hätten, zumal alle Schauspieler und Schauspielerinnen hier und da mit Textunsicherheiten zu kämpfen hatten. Aber nicht nur daran lag es, dass sich eine Upper-Class-Atmosphäre nicht so recht einstellen wollte: Mancher Regieeinfall geriet doch eher schwankhaft-deutsch als britisch-brillant. Alexandra Pitz zeichnete für die Kostüme und das luftig-lichte Bühnenbild verantwortlich, das mit minimalen Veränderungen für drei unterschiedliche Schauplätze reichte. Freundlicher Beifall für Mimen und Regieteam im nur zu zwei Dritteln besetzten Haus.
Die nächsten Aufführungen: 4., 6., 11., 28. Juni und 1. Juli; Karten unter Telefon 0651/718-1818.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort