Grenzenlose Leidenschaft

TRIER. Eine Woche vor dem Start mit der Premiere von "Medea" laufen die letzten Proben für die Antikenfestspiele auf vollen Touren. Die Titelrolle der Euripides-Tragödie ist mit der profilierten Theater- und Fernsehschauspielerin Heike Trinker ausgesprochen spannend besetzt.

Nein, an Medea würde man nicht unbedingt denken, wenn man Heike Trinker vor dem "Astarix" sitzen sieht. Rote Locken, Sommersprossen, eine Nase, die man in sprachlich altmodischeren Zeiten als "keck" bezeichnet hätte. Eine Lysistrata vielleicht, Nora oder Minna von Barnhelm. Aber die düstere Kindermörderin, die gnadenlose Vernichterin ihres untreuen Gatten? 50 Minuten und 50 Meter Luftlinie entfernt, bei der Probe auf der großen Theaterbühne, sieht das schon anders aus. Regisseurin Bettina Rehm stellt gerade die Szene, in der Medea ihrem untreuen Geliebten Iason, dem Vater ihrer beiden Söhne, vorspielt, sie habe seinen Verrat akzeptiert. Rasch werden Konturen der Rolle erkennbar, trotz des ernüchternd-provisorischen Ambientes. Auf den Punkt genau zu arbeiten, hat Heike Trinker von der Pike auf gelernt - in allen Facetten des Schauspielerdaseins. Studium in Frankfurt, Engagements in Saarbrücken, Essen, Bochum, Konstanz, Hannover. Lady Macbeth, Ariel, Carmen. Aber einen gewissen Bekantheitsgrad bescherte ihr eher die Rolle der Sylvia Jones in der RTL-Vorabendserie "Verbotene Liebe", damals unter dem Namen Heike Brentano. Wenn man sie auf den vierjährigen Ausflug in die "Daily Soap", anspricht, geht die Schauspielerin unwillkürlich in Abwehrhaltung. Es fühlt sich an, als habe sie schlechte Erfahrungen gemacht mit den Ressentiments der Verehrer hehrer klassischer Schauspielkunst gegenüber den Gebrauchs-Darstellern im Fernsehgeschäft. Als ob nicht auch andere hochkarätige Künstler das schmale Salär durch professionelles, gut honoriertes Kunsthandwerk aufbessern würden. Sie steht zu den Fernseh-Jobs, "die einfach ein Teil meines Berufes sind". Aber ihre Begeisterung, dass das Theater für ihre tragische "Medea" ausgerechnet mit dem Slogan "Bekannt durch die Serie ,Verbotene Liebe'" wirbt, hält sich augenscheinlich in Grenzen. Dennoch: Man könne "durchaus eine Menge lernen" bei der täglichen Fließband-Produktion, sagt Heike Trinker, "vor allem Konzentration auf einen ganz bestimmten Moment". Das helfe auch, wenn der Probenplan so "bestürzend knapp" gestrickt sei wie bei der Antikenfestspiel-Medea.Theater lebt auch von der Reibung

Wenn während des Proben-Prozesses wenig Zeit zum Reflektieren bleibt, tut es gut, dass man sich der Rolle schon frühzeitig angenähert hat. Heike Trinker hat Literatur rund um Medea gewälzt, den Mythos erforscht, frühere Rollengestaltungen wieder ausgegraben. Das schaffe die Möglichkeit, "dass die Figur ein Zuhause in mir findet", sagt sie, und das klingt nicht nur wunderschön, sondern wirkt auch sehr ernst gemeint. Redet man über Medea, legt Heike Trinker schon mal längere Pausen ein, sinnt nach, wägt Worte ab. Die "grenzenlose Leidenschaft" sei der markanteste Charakterzug dieser Frau, eine Leidenschaft, die alles auf eine Karte setze, unvernünftig sei, jede Hemmschwelle überschreite, sogar vor dem Leben der eigenen Kinder nicht Halt mache. Die gemeinsamen Söhne seien nur "Mittel zum Zweck" bei der Rache an ihrem Geliebten, dem sie alles geopfert und der sie verraten hat. Da hat jemand eine klare Vorstellung von einer Figur, möglicherweise sogar eine etwas andere als die Regisseurin, deren Konzept stärker die Verantwortung der Gesellschaft thematisiert. Das wird man konstruktiv austragen, Theater lebt schließlich von Reibung. Aber auch vom faszinierenden Ambiente. Heike Trinker, die zum ersten Mal in ihrer Karriere open air spielt ("Ich bin zum Glück nicht übermäßig witterungsabhängig") hat sich schon auf den ersten Blick in die Kaiserthermen verliebt. "Es gibt Räume, die schreien danach, bespielt zu werden", sagt sie. Dann dürften die römischen Ruinen auch das ideale Umfeld für einen Geburtstag sein. Heike Trinker wird nämlich just am Premierenabend 45. "Medea" steht am 17. (Premiere), 18. und 30. Juni sowie am 16. Juli auf dem Programm der Antikenfestspiele. Infos: www.antikenfestspiele-trier.de. Karten: 0651/7181818. Am morgigen Sonntag, 11. Juni findet ab 11.15 Uhr ein Theatercafé zu Medea in den Kaiserthermen statt.

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