Großer Tag für Europas Musikkultur

LUXEMBURG. Die Stimmung war festlich, aber keineswegs inhaltsleer repräsentativ. Zur Eröffnung der Luxemburger Philharmonie hatte Krzysztof Penderecki seine achte Sinfonie geschrieben und "Lieder der Vergänglichkeit" genannt. Statt Triumph-Fanfaren eine Mahnung vor Naturgefährdung.

Für den repräsentativen Teil kam man mit einer Viertelstunde aus. Kaum hatten Bundespräsident Horst Köhler, die niederländische Königin Beatrix und das belgische Prinzenpaar Platz genommen, kaum war das luxemburgische Herrscherpaar eingezogen, da senkten sich Ernst und, ja, Entschlossenheit über den dunkelbraun ausgekleideten Großen Saal der Luxemburger Philharmonie. Aufsichtsratsvorsitzender Damien Wigny erinnerte in bewegenden Worten an die verstorbene Großherzogin Joséphine-Charlotte, deren Namen das Konzerthaus trägt, und riss dann eine Perspektive auf: von Luxemburg über Europa in die Welt. Ein Bekenntnis zur europäischen Kultur

Kulturminister François Biltgen vertiefte diese Perspektive: die europäische Bedeutung der Philharmonie, der Beitrag der Kultur zur "Standortpolitik", ein Bekenntnis zur europäischen Kultur. Aus beiden Ansprachen klang derselbe politische Wille: die vorhandenen Konzerthäuser nicht einfach um eins zu vermehren, sondern neue Akzente zu setzen. Auch das ist ungewöhnlich: Statt eine wohltönende Repräsentationsmusik zu verfassen, hat Krzysztof Penderecki mit seiner 8. Sinfonie "Lieder der Vergänglichkeit" geschrieben auf Texte von Eichendorff, Karl Kraus, Hesse, Rilke, Goethe und Achim von Arnim. Ein polnischer Komponist vertont deutsche Naturlyrik zur Eröffnung eines luxemburgischen Konzerthauses, welch eine europäische Perspektive! Und dazu im hochtechnisierten Ambiente eines modernen Konzertsaals die Mahnung vor einer Naturzerstörung, die den Menschen Lebensgrundlagen und Selbstbild nehmen würde. Krzysztof Penderecki hat eine rückwärts gewandte, eine zuweilen sogar resignative Musik geschrieben. Aber er meidet die Nostalgie, verweigert sich aller Gemütlichkeit und bleibt doch zugänglich für die, denen Avantgarde fremd ist. Gleichermaßen sensibel und deutlich hat er den Tonfall jedes Gedichts in Musik gesetzt: nach den neoromantischen Eichendorff-Vertonungen klingt bei Karl Kraus die vertrackte Verbindung aus wienerischem Expressionismus, kulturkritischer Skepsis und Sehnsucht nach Ursprünglichkeit mit. Penderecki arbeitet souverän mit einer ungemein breiten Palette von Kompositionstechniken, von einer sakral anmutenden Chor-Polyphonie bei Hesses berühmten "Herbsttag" bis zum dramatischen, expressionistischen Idiom in der ungemein bildkräftigen Vertonung von Goethes "Sag‘ ich euch's, geliebte Bäume" - ein Höhepunkt in Werk und Aufführung. Dazu ein farbenreicher Orchesterklang, frei von allem dumpf Massiven, mit Glanzlichtern im Bläsersatz und nuancierten, helldunklen Streicher-Klangflächen. Und all das exzellent musiziert. Unter Bramwell Tovey gab das "Orchestre Philharmonique du Luxembourg" im neuen Saal einen glänzenden Einstand: der bewegliche, homogene Streichersatz, die Bläser mit Präzision, Strahlkraft und Kultur. Die Solisten Olga Pasichnyk, Agnieszka Rehlis und Wojtek Drabowicz sind in Tragfähigkeit, Textdeutlichkeit und Legatokultur schwer zu übertreffen. Auch die EuropaChor-Akademie (Joshard Daus) im vielfältigen Spiel der Klänge, Farben und Stimmungen deutliche, wichtige Schwerpunkte.Musizieren in optimaler Akustik

Die akustischen Bedingungen sind optimal. Die Musik klingt transparent und doch warm, entfaltet sich, ohne zu erdrücken, fächert sich farbenreich auf, ohne in Einzelelemente zu zerfasern, besitzt Glanz ohne vordergründige Brillanz. Ein Ideal. Ein Versprechen. Die Zustimmung des Publikums blieb ohne vorlauten Jubel. Dafür war der Anlass zu gewichtig. Ein großer Tag für die Kultur - nicht nur in Luxemburg, nicht nur in der Großregion sondern in ganz Europa.

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