Haifische sind nicht nett

TRIER. Eine "Dreigroschenoper" jenseits aller Klischees und Anbiederungen an Publikums-Gewohnheiten bietet das Trierer Theater. Und landet damit näher bei Brecht als andere Produktionen.

Es gibt Theater-Inszenierungen, die versuchen das Unmögliche. Sie verzichten auf alles Gefällige und hoffen doch, dem Publikum zu gefallen. Sie verweigern Effekthascherei und wollen dennoch Kopf und Bauch der Menschen erreichen. Sie fordern ihre Zuschauer und haben doch Unterhaltung im Sinn. Dabei ist es gerade bei Brecht viel leichter, den alten Theatergaul die gewohnten Kunststücke vorführen zu lassen. So ist die Dreigroschenoper zur Revoluzzer-Soap verkommen, mit putzigen Gangstern, idyllischen Huren und netten Zynikern, die Gassenhauer absingen, für deren Text sich kein Mensch mehr interessiert. Thilo Voggenreiters Version hat dagegen nichts Heimeliges, nichts Gemütliches. Sie nimmt die Texte ernst, manchmal furchtbar ernst. Sie schärft Konflikte bis an die Schmerzgrenze. Aber sie ist nicht belehrend, nicht unsinnlich - und ganz und gar nicht langweilig.Minimalismus bei Ausstattung und Kulissen

Gewöhnungsbedürftig ist sie freilich schon. So gibt es keine Kulissen außer der schwarzen Bühnen-Drehscheibe (Bühnenbild: Ina Reuter), die sich fast unablässig in ausgeklügeltem Richtungs- und Geschwindigkeitswechsel bewegt und so jedes Innehalten ausschließt. Eine mit Blinklämpchen ausgestattete Rückwand Marke Fernsehshow der 60er-Jahre teilt ein Viertel der Fläche ab und schafft Raum für Auf- und Abgänge. Vor diesem Hintergrund zieht Mackie Messer (eine Bank: Michael Ophelders) seine Bahn, im Edel-Designer-Anzug (Kostüme: Yvette Schuster), stets an der Schwelle zwischen Gangster und Geschäftsmann. Er beherrscht das sprachliche Repertoire von prollig bis gediegen, ist mal charmant, mal brutal, aber stets mit Blick auf die Kosten-Nutzen-Bilanz. Wenn er ins Bett zur frisch angetrauten Polly steigt, dann mit dem Satz: "Und jetzt muss das Gefühl auf seine Rechnung kommen." Es gibt viele prägnante Textstellen, bei denen sich selbst alterfahrene Dreigroschenoper-Besucher fragen, ob sie tatsächlich von Brecht stammen. Doch: Sie tun es (fast) immer. Nur dass sie in anderen Produktionen in der allgemeinen Gefühligkeit untergegangen sind. Bei Voggenreiters Purismus aber bleibt nichts im Ungefähren. Manchmal tut das geradezu weh. Zum Beispiel, wenn der Regisseur die Bordell-Szene auf den Kinderstrich verlegt, wo Mackie die kleinen Mädchen mit Süßigkeiten oder Geldscheinen belohnt, bevor er sie mit Hilfe der Spelunken-Jenny (prägnant: Angelika Schmid) an Freier vermittelt. Das ist nicht effekthascherisch inszeniert, nicht einmal provokativ, sondern unendlich traurig und tief beeindruckend. So viel Realität ist schwer zu verkraften im Theater, aber sie ist nötig. Gerade weil manchem das Lachen im Hals stecken bleibt. Zu lachen gibt es trotzdem einiges. Diese Dreigroschenoper ist über weite Phasen auch eine satirische Boulevard-Komödie - dank des Kunstgriffs, eine zweite Handlungsebene einzuziehen: Bettlerkönig Peachum (stark: Klaus Michael Nix) ist ein Showmaster, der, unterstützt von seiner Ehefrau und Assistentin (hübsch grell: Sabine Brandauer) das Geschäft mit der Armut medienwirksam kultiviert. Da lässt sich (ganz im Sinne von Brecht) mit Verfremdungen und Brüchen spielen. Vom köstlichen Zickenstreit der Mackie-Ehefrauen Polly (rundum überzeugend: Claudia Felix) und Lucy (berückend biestig: Vanessa Daun) bis zum Polizeipräsidenten Brown, der in Peter Singers deftiger Darstellung als nach allen Seiten (vor allem für Zuwendungen) offener politischer Beamter daherkommt. Die Regie setzt sich aber nicht nur mit dem Stück auseinander, sondern auch mit dem Autor. Da läuft ein kindlicher Bertolt Brecht mit Brille und Schiebermütze auf der Bühne herum, klaut erstmal die Musik, sackt zwischendurch ordentlich Geldscheine ein und lässt am Ende den vom Aufhängen bedrohten Mackie mit einem Schulterzucken in der Misere sitzen. Anspielungsreicher Stoff zum Nachdenken und Diskutieren. Alle Entrümpelungs-Bemühungen müssten allerdings fehlschlagen, käme nicht auch Kurt Weills Musik in neuem Gewand über die Rampe. Franz Brochhagens Philharmoniker-Band meidet Pathos und Schmus, kommt federleicht daher und nötigt auch die Singenden dazu, die klassische Brecht-Weill-Barrikaden-Deklamation in der Kabine zu lassen. Die Haifisch-Ballade wird a-capella gesungen. Nur einmal, beim "Kanonen-Song", kriegt der Affe richtig Zucker, aber da ist es der blanke Sarkasmus, der die arglosen Zuschauer verführt, sich selbst zur Mitklatsch-Truppe zu degradieren. Am Ende eines risikofreudigen Abends einhelliger Beifall, dessen Intensität beim Publikum aber stark differiert. Es gibt eben Theater-Inszenierungen, die das Unmögliche versuchen. Bei dieser Trierer Produktion ist man am Gelingen ziemlich nahe dran.

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