Hat jemand schon mal Brahms gehört?

Luxemburg · Popstar und Stargeiger David Garrett war gemeinsam mit dem Pianisten Julien Quentin im Rahmen seiner Tournee "Timeless" in der vollbesetzten Philharmonie zu Gast. Was brav begann, endete rasant.

Luxemburg. Was man von David Garrett am wenigsten erwartet ist Langeweile. Die verbreitete er diesmal reichlich in der Luxemburger Philharmonie. "We create events" hatte der schwarze Handzettel versprochen, den es statt des üblichen Programmheftes gab.
Genau: Zu Garrett geht man erst mal wegen des Events. Das mag auch das Publikum so sehen, das im Übrigen so ist, wie es sich Kulturdezernenten und Intendanten erträumen: alle Alters- und Gehaltsklassen. Rundum mit Pailletten benähte "Best Agerinnen" stehen jungen Frauen zur Seite, die mit schwindelerregenden Ausschnitten auf ebensolchen Stilettos trippeln. Eine phänomenale Rothaarige hält vorsichtig eine Rose in Zellophan, Ton in Ton mit ihrem flammenden Haarschopf.
Bunt gemischtes Publikum


Forschen Schritts durchquert ein Paar, dass wohl gerade aus dem Wald kommt, in Wanderschuhen das Foyer. Zwischen jeder Menge Nieten- und Lederklamotten bahnen sich Herren in Schlips und Kragen und Damen in Nerzjäckchen ihren Weg. Nicht zu vergessen der Geigennachwuchs: Kleine frisch gewaschene Jungen in Mini-Oberhemden und Mädchen in artig dunkelblauen Kleidchen halten sich dicht an ihre Eltern.
Überhaupt artig: Genau das ist der Abend die meiste Zeit. Statt mit nacktem Oberkörper (geschenkt) steht Garrett diesmal im quasi dunklen Anzug auf der Bühne. "Hat schon mal jemand von euch Musik von Brahms gehört?", fragt er vorsichtshalber mit Blick aufs Programm sein Publikum. Das will sich lieber nicht festlegen. Dafür klatscht es später dankbar nach jedem Satz.
Garrett stellt seinen Partner am Klavier, den Pianisten Julien Quentin vor, wünscht "viel Spaß", und ab geht\'s mit Brahms\' Sonaten. Da wird es dann richtig brav und langweilig. Ein wenig hat der Geiger etwas von einem Musiker, der gewissenhaft vom Blatt spielt und das schon für die ganze Musik hält.
Blass erklingt gleich eingangs die Sonate Nr. 2 A-Dur, die Thuner Sonate. Was liedhaft singt, gerät süßlich. Den Sonaten Nr. 3 d-Moll op. 108 wie der Sonate Nr. 1 G-Dur, der "Regenliedsonate", fehlt es deutlich an Spannung. Stattdessen gibt es herzerweichende Vibrati, breiten, fetten Strich und eine Phrasierung, die meist zerlegt, ohne den Spannungsbogen wieder aufzubauen.
Tobende, jubelnde Fans


Da kann auch der sensible Julien Quentin am Klavier nichts machen. Gram sein mag man Garrett trotzdem nicht. Etwas anrührend Jungenhaftes hat er, wenn er seinem Publikum gesteht, dass Kammermusik für ihn die intimste musikalische Art der Gefühlsäußerung sei.
Und zum Glück gibt es ja die Zugaben. "Das ist das letzte Konzert einer langen Tournee, da geben wir noch einmal Vollgas", verkündet der Geiger vorab. Und schon geht die Post ab, mit Brahms "Ungarischem Tanz" Nr. 5 und Montis wildem Czardas.
Endlich haben auch die Musik und das Publikum ihren Garrett wieder, den modernen Teufelsgeiger mit dem gigantisch verrockten Talent. Garretts Fans toben, johlen, jubeln und lassen die Handys blitzen. Der Mann ist eben was für Vollgas. er

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