Heinz, lass das Monster raus!

Satire kann wirklich wehtun. So bissig, böse und tabulos wie im aktuellen Programm "Ohne Kapp … undenkbar" hat Gerd Dudenhöffer seinen Heinz Becker noch nie schwadronieren lassen.

Trier. Die Kapp sitzt fest auf dem Holzkopf, so fest wie das Weltbild, dass sich Heinz Becker unerreicht kurzsichtig, kleingläubig und geradezu brutal zurecht gezimmert hat. Mächtig komisch ist Gerd Dudenhöffers Kunstfigur, die er seit 1985 auf der Bühne gibt, ohne jeden Zweifel - das bewiesen einmal mehr die Lachsalven in der komplett vollen Europahalle.Doch im Gegensatz zu Bühnen-Kollegen wie Jürgen von der Lippe, der den vulgären Wortwitz zur Kunstform erhoben hat, oder Krachern wie Mario Barth, der wie ein Orkan über die Zuschauer hereinbricht, führt Dudenhöffer (58) seinen Heinz mit sparsamster Mimik und Gestik an die Schmerzgrenze heran und schließlich darüber hinaus. Wer diesem muffeligen und Menschen-feindlichen Stoiker zuhört, sollte an Kurt Tucholsky denken, der gesagt hat: "Was darf Satire? Alles."Der Mann mit der Kapp ist in der Tat ein wandelndes Lehrstück über das Wesen der Satire. Sie ist anstrengend. Sie erfordert genau die Eigenschaften, die Dudenhöffers Figur nicht hat: Offenheit, Weitblick und vor allem Toleranz. Manche ihrer komischen Momente werden dem Zuschauer nicht auf dem Silbertablett serviert, er muss sie sich erarbeiten. Heinz Becker lässt es langsam angehen. Man trifft ihn in seinem zwölften Soloprogramm in einer dörflichen Festhalle als Gast einer Kommunionsgesellschaft. Zwischen der mittäglichen Kuchenrunde und dem Abendbüfett zieht er sich kurz zurück ins Hinterzimmer, begegnet dort dem Zuschauer und weiht ihn in sein Weltbild ein - vor dem man schreiend flüchten würde, wenn es denn nicht so komisch wäre.Heinz analysiert das bunte Spektrum menschlicher Phänomene, das er in den anderen Kommunions-Gästen erkannt zu haben glaubt. Er lässt das Publikum langsam warm werden mit perfekt komponierten Wortverdrehern ("Füllheberfalter") und sinnfreien Gedankengängen über den Klimawandel ("Temperaturen hat's schon immer gebbe"). Jede einzelne Betonung, jede Pause, jede hochgezogene Augenbraue ist präzise kalkuliert, gehört zum Gesamtkunstwerk Heinz Becker.Dann weicht das Schmunzeln dem Schock. Rassismus ("Der Neger setzt seine Hautfarbe ein wie einen Schwerbehindertenausweis"), ein steinzeitliches Frauenbild, Probleme der Globalisierung, sogar Sterbehilfe und Sex im Alter presst Dudenhöffer durch die sehr enge Pforte von Heinz Beckers Wahrnehmungsfähigkeit. Selbstmord-Attentäter und gleichgeschlechtliche Ehen stellen Heinz vor keine Probleme. Was nicht passt, wird passend gemacht. Und jede der schlau eingefädelten Pointen sitzt, jede ins Böse abgleitende Unwissenheit endet mit einer neuen Lachsalve.Nach zwei Stunden hintergründiger Komik ist die Erschöpfung des Zuschauers ebenso groß wie der Respekt vor dieser wirklich meisterhaften Darbietung.

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