Holz erzählt Geschichte

Trier · Abenteuer Archäologie: Trierer Wissenschaftler datieren historische Funde mit einem Baumkalender.

Holz erzählt Geschichte
Foto: mechi (wh_wtl )

Manchmal ist es gut, auf dem Holzweg zu sein. Etwa als Archäologe. Denn Holz vergisst nie. In ihm stecken Geschichten - und Geschichte. Wie in den Kisten, die im Dendrochronologischen Forschungslabor im Rheinischen Landesmuseum Trier stehen. Kleine und kleinste verkohlte Teilchen. Holzstücke, die Archäologen im ältesten römischen Militärlager in Deutschland bei Hermeskeil ausgegraben haben.

Oder wie die einer großen Innovation. Denn Holz kann Leben ändern - und vereinfachen. Das bekommen die Menschen im Trierer Tal zu spüren, als ein Rundbecken in die Erde eingelassen wird, um eine Quelle zu fassen. Nun können sie einfacher an das kochsalzarme, eisenhaltige Heilwasser gelangen.

Wir schreiben das Jahr 1969 - vor Christus. 416 Jahre später, im Jahr 1553 v. Chr., entsteht an gleicher Stelle eine kastenförmige Quellfassung aus Eichenholz. Als die Römer im ersten Jahrhundert v. Chr. ins Trevererland kommen und hier ein Brunnenhaus errichten, ist die "Römersprudel" genannte Mineralquelle schon 2000 Jahre bekannt.

Woher man das weiß? Das Holz erzählt es. Dank eines Sensationsfunds für die Archäologie: Das bronzezeitliche Rundbecken aus je einem halben Eichen- und einem halben Lindenstamm wurde bei Grabungen im Jahr 1950 unter dem heutigen Brunnenhaus entdeckt. "Es sind die ältesten datierten Bauhölzer nicht nur in Trier, sondern in ganz Rheinland-Pfalz", betont Mechthild Neyses-Eiden, Leiterin des Dendrochronologischen Forschungslabors im Rheinischen Landesmuseum Trier.

Holz? Wie kann totes Material sprechen? Es kann. Und zwar höchst präzise. Denn Laub- und Nadelbäume erzeugen in Mitteleuropa unmittelbar unter der Rinde jedes Jahr einen neuen Ring Holz. Zu Beginn der Vegetationsperiode im Frühjahr bildet die Wachstumsschicht (Kambium) große Zellen (Frühholz), zum Herbst hin kleinere (Spätholz), bis der Baum sein Wachstum einstellt. Beide Strukturen bilden den Jahresring. Dessen Grenzen sind als scharfer Übergang zu erkennen. Das Wachstum hängt von den klimatischen Bedingungen ab. Sind diese schlecht, bilden sich schmale Jahresringe. Sind sie gut, sind auch die Ringe ausgeprägter. Da Bäume in einer Region einheitlichen Bedingungen ausgesetzt sind, ist ihr Wachstum ähnlich und daher vergleichbar. Das macht sich die Dendrochronologie zunutze.

Das Wort Dendrochronologie setzt sich zusammen aus drei griechischen Begriffen: "dendron" (Baum), "chronos" (Zeit) und "logos" (Lehre), zu Deutsch: die Wissenschaft vom Baumalter. Und die ist noch recht neu. Entwickelt hat sie der US-amerikanische Astronom Andrew E. Douglass (1867-1962) um 1900. Er stellte fest, dass die Jahresringe an Bäumen bestimmten Mustern folgen. In den 1930er und 40er Jahren beschäftigte sich der österreichische Botaniker Bruno Huber mit Baumringforschungen in Mitteleuropa.

"Wir vermessen die Jahresringe", sagt Andreas Rzepecki vom Trierer Labor und schaut durch das Objektiv seines Auflichtmikroskops. Darin sind die Jahresringe genau zu erkennen. Der 33-Jährige dreht an einem Rad an der Seite des Geräts und misst so die Breite der Strukturen. Diese rechnet der Computer in Kurven um.

"Die Jahresringchronologien gelten als eine der genausten Datierungsmöglichkeiten", sagt Rzepecki. Es gebe andere, die recht genau sind, wie die Radiokarbonmethode, auch C14-Datierung genannt. Doch die habe eine Unsicherheit von einigen Jahrzehnten.

"Wir versuchen, das Absterbejahr des Holzes zu bestimmen", sagt Neyes-Eiden. Optimal sei es, wenn die Waldkante, die Grenze zwischen Holzkörper und Rinde. Das sei das Datum, an dem der Baum gefällt und verbaut wurde. "Das Holz wurde bis ins 19. Jahrhundert frisch verarbeitet", erklärt Neyses-Eiden. Erst ab der Industrialisierung werde Holz gelagert.

"Eine Chronologie wird ausgehend von frisch geschlagenen Bäumen aufgebaut" , erklärt Rzepecki. Denn da sei das Fälldatum bekannt. Von dort aus wird anhand von weiteren Funden, etwa aus alten Gebäuden, zurückdatiert. "Wir arbeiten uns von der Neuzeit sukzessive zurück." So entstehe ein jahresgenauer dendrochronologischer Kalender. Dieser dient als Referenzmuster, mit dem weiteren Baumproben eines Gebiets ein festes Datum zugeordnet werden könne. Dazu müssen diese aufbereitet sein: Es muss eine Baumscheibe oder eine Bohrprobe gezogen und eventuell mit einem Kontrastmittel wie Kreide präpariert werden, damit Rzepecki die Jahresringe mit dem Mikroskop einlesen und erfassen kann. Abschließend bereitet er die Daten auf, rechnet andere Faktoren wie etwa den Alterstrend heraus. Oder bestimmt - wenn nur die unter der Waldkante liegende Splintschicht vorhanden ist - das mögliche Fälldatum. Jede Probe misst er gegen eine Vielzahl von Chronologien, um die Bestimmung zu verbessern. "Anhand des visuellen und statistischen Crossdatings kann ich erkennen, ob sich zwischen Kurven signifikante Ähnlichkeiten finden", sagt Rzepecki. "Für eine exakte Datierung brauche ich etwa 50 Jahresringe."

Allerdings gebe es Einschränkungen. "Eine Chronologie ist immer nur für eine Holzart möglich", sagt Rzepecki. Jede habe unterschiedliche Ansprüche an Boden und Klima, so dass für jede eine eigene Chronologie aufgebaut werden müsse. Und auch für jede Region. So sei die Trierer Chronologie für Eichen, eine der wichtigsten in Deutschland, von der Schweiz bis Süd-Niederlanden und von Lothringen bis Hessen gültig. Da eine Ähnlichkeit zweier Bäume nie 100-prozentig sei, verfeinern regionale Vergleichshölzer die Datierung.

Die Römer haben hauptsächlich Eiche verbaut. "Sie ist wiederstandsfähig, bildet lange gerade Stämme und verzieht sich nicht", sagt Neyses-Eiden. Buche sei weniger verwendet worden, etwa in Gerüsten. Und Nadelhölzer spielten eine untergeordnete Rolle. Sie seien erst im 18. Jahrhundert in der Region eingeführt worden. Für Tanne läge in Trier keine vollständige, sondern eine sogenannte schwimmende Chronologie vor.

Das Trierer Labor ist nicht nur im Rahmen archäologischer Grabungen für die Generaldirektion Kulturelles Erbe begehrt. So forscht es im Rahmen eines interdisziplinären Projekts mit der Uni Trier und der TU München zur Bau- und Kunstgeschichte des Doms. Und hat herausgefunden, dass der Westabschluss des Gotteshauses, den Erzbischof Poppo errichten ließ, bis zu dessen Tod bereits bis zur Höhe der zweiten Galerie fertiggestellt war. Seine Nachfolger vollendeten die beiden Türme.

Und auch in der Denkmalpflege sind die Dendrochronologen von öffentlichen und privaten Auftraggebern gefragt. Etwa wenn es darum geht, das Baudatum eines denkmalgeschützten Gebäudes zu bestimmen. Denn oft fehlen schriftliche Daten.

Trier hat seinen Status in der Dendrochronologie Ernst Hollstein zu verdanken. Der Berufsschullehrer für Holzanatomie und Statistik sammelte ab 1954 Stamm- und Baumquerschnitte in der Region und baute eine Chronologie und 1970 auch das Trierer Labor auf. Zugute kam ihm da die Kanalisation der Mosel Anfang der 1960er Jahre. Dabei seien viele Hölzer gefunden worden, sagt Neyses-Eiden. Und es gab Untersuchungen an der Römerbrücke. "Bei der ersten sprechen Pfähle aus dem Jahr 17 v. Chr."

Hollstein war einer der ersten Dendrochronologen in Deutschland. Er hat die Wissenschaft maßgeblich beeinflusst: Viele Labore arbeiten mit seinen Daten und seinen mathematisch-statistischen Methoden. Heute verfügt die Hollstein-Chronologie über mehr als 10 000 Einzelproben, die sich auf 1500 Fundstellen verteilen. Ob das bei den verkohlten Resten aus Hermeskeil hilft, bezweifelt Neyses-Eiden. "Die Fundstücke sind vermutlich zu klein, um sie zeitlich zu bestimmen." Denn manchmal stößt auch der Baumkalender an Grenzen.Extra: DENDROCHRONOLOGISCHES FORSCHUNGSLABOR TRIER


Das Labor wurde 1970 unter der Leitung von Ernst Hollstein gegründet. 1980 entstand eine Eichenchronologie für die Zeit von 690 v. Chr. bis 1975, die kontinuierlich erweitert wird - auch für Buche und Tanne. Seit 2016 arbeiten die Dendrologen an der Erstellung einer 6000-jährigen mitteleuropäischen Eichenchronologie. Und sie bieten Lehrveranstaltungen an der Uni Trier im Fachbereich Geobotanik an. Zurzeit bereiten die Trierer mit dem Forschungslabor Dendroarchäologie der Uni Köln, der Uni Trier und des Dendrolabors Windeck eine neue Mitteleuropäische Eichenchronologie vor.Extra: LANDESAUSSTELLUNG

 Querschnitt durch einen Baumstamm.

Querschnitt durch einen Baumstamm.

Foto: mechi (wh_wtl )
 Die ältesten Kulturdenkmäler der ältesten Stadt Deutschlands: die hölzernen Quellfassungen des Feyener Römersprudels von 1969 v. Chr. (links) und 1553 v. Chr. TV-Foto: Archiv/Roland Morgen

Die ältesten Kulturdenkmäler der ältesten Stadt Deutschlands: die hölzernen Quellfassungen des Feyener Römersprudels von 1969 v. Chr. (links) und 1553 v. Chr. TV-Foto: Archiv/Roland Morgen

Foto: roland morgen (rm.) ("TV-Upload morgen"

Zum 70. Geburtstag des Landes zeigt eine große Ausstellung in Mainz die Bandbreite dessen, was die heimischen Altertumsforscher in den vergangenen sieben Jahrzehnten entdeckt haben. Die Schau "vorZEITEN" - Archäologische Schätze an Rhein und Mosel" ist bis zum 29. Oktober im Landesmuseum in Mainz zu sehen und bietet einen Streifzug durch 800 000 Jahre Menschheitsgeschichte. Infos: www.vorzeiten-ausstellung.de

Im zweiten Teil unserer Serie "Abenteuer Archäologie" haben wir berichtet, wie Archäologie funktioniert. Im nächsten Teil stellen wir vor, was im devonischen Urozean kreuchte und fleuchte und wie es vor 25 Millionen Jahren im Westerwald aussah.
Alle Texte zur Serie, Videos und Fotos unter www.volksfreund.de/vorzeiten

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort