Hyperaktiver Dauerbeschuss

FRANKFURT. Der derzeit amtierende Chef-Provokateur der deutschen Opernwelt, Calixto Bieito, hat sich in Frankfurt Verdis "Macbeth" zur Brust genommen. Das Fazit lautet, je nach Geschmack und Blickwinkel: Der Spanier ist ein Blender, aber genial. Oder: Der Spanier ist genial, aber ein Blender.

Macbeth ist Bänker. In seinem modernen Geld-Tempel flimmern unablässig Börsenkurse und Management-Weisheiten über endlose Laufbänder, von riesigen Video-Würfeln perlen die teuersten Preziosen der schönen neuen Warenwelt, gelegentlich unterbrochen von Fußball-Übertragungen. Das Problem ist: Macbeth sitzt bei der fiktiven "Union-Bank" in der zweiten Reihe. Und er würde doch so gerne Vorstandsvorsitzender werden, Nachfolger des allmächtigen alten Chefs, der sich (heraus-)nehmen kann, was er will, bei Bedarf auch Macbeths ehrgeizige Frau. Die Büro-Hexen treiben den Aufsteiger zur Macht. Weil der Alte partout nicht weichen will - und es zu Verdis und Shakespeares Zeiten noch keinen Aufsichtsrat gab, in den man ihn abschieben könnte - wird ihm halt die Halsschlagader durchtrennt. Das hat was Plausibles. Wer will heutzutage schon noch König werden - angesichts des Einkommens und der Macht eines Josef Ackermann. Die Bankenwelt als Metapher für den Aufstieg ins Unermessliche? Da lächelt Premieren-Abonnent Rolf Breuer von der Deutschen Bank milde, während sich andere echauffieren. Der Zorn gilt dem Arsenal abgenudelter Provokationen, für das Calixto Bieito inzwischen berühmt ist. Ständig ziehen sich Akteure aus oder an, schütten sich Essen in und Flüssigkeiten über den Kopf, um beides später auf diesem oder jenem Weg wieder abzugeben. Man koitiert und kollabiert auf der Bühne, ersteres meist angedeutet, letzteres um so drastischer. Das Vorspiel bestreiten grunzende Schweine, das Nachspiel blökende Schafe, und zwischendrin fließt Blut und knallen Korken, während einzelne Zuschauer in einer pawlowschen Reaktion die sehnlichst erwarteten Buh-Rufe ausstoßen. Und irgendwann ist es völlig egal, in welchem Stück man sitzt. Trunken vor Macht-Gefühlen

Das ist schade, denn Bieito gelingen, wenn er sich auf das Wesentliche konzentriert, große, ja geniale Bilder. Wenn sich die Angestellten rituell vom ermordeten Chef Duncan verabschieden und dabei gierig die Ringe von seinen Fingern abreißen, wenn sich Macbeth und seine Lady in packende Studien des Wahns verwandeln, wenn sich der Hofstaat unter McDonalds-Krönchen an der Macht des neuen Herrschers besäuft - da fehlt nur der Slogan "Wir sind König". Aber in dem hyperaktiven szenischen Dauerbeschuss bleibt zum Denken keine Zeit, zum Hören leider auch nicht. Das vibrierende Augenfutter frisst so viel Energie, dass die Ohren notgedrungen auf Durchzug schalten. Die Passagen häufen sich, in denen die Regie jeden Zusammenhang zur Musik verliert, unendlich viel banaler wird als Verdis präzise Zeichnung von Persönlichkeiten und Verhältnissen. Da ringen Paolo Carignani und das Frankfurter Museumsorchester manchmal erfolglos um ihren (und des Komponisten) Anteil an der Aufmerksamkeit. Zum Glück gibt es den grandiosen Zeljko Lucic, vielleicht der beste "italienische" Bariton seiner Generation. Fast trotzig deckt er mit dem Wohlklang seiner Stimme manche Wunden zu, die die Regie geschlagen hat - allein, gegen Bieitos Zerstörungswut kämpft sein Macbeth im Unterhemd mit aufgesprühtem Graffiti-Penis letztlich vergebens. Eine starke Leistung bietet Caroline Whisnant als Lady, nicht nur wegen der darstellerischen Entäußerung, die ihr Bieito abverlangt. Da ist enormes, manchmal noch etwas unkontrolliertes Potenzial, das Großes verspricht. Der Chor glänzt, weil er sich auf die szenischen Zumutungen einlässt und trotzdem musikalisch nicht abstürzt. Am Ende schwirrt der Kopf

Am Ende schwirrt allen der Kopf, die Sänger werden gefeiert, über dem Regisseur entlädt sich ein unangebrachtes Buh-Gewitter, das wiederum die Bieito-Fans zu nicht minder unangebrachtem Bravo-Geschrei animiert. Es ist viel Lärm um wenig Substanz, um ein genial in Szene gesetztes Blendwerk, das sich um Inhalt wenig schert. Insofern ist Bieito der passende Regisseur zur Zeit. Vorstellungen: 2., 4., 10., 12., 18., 24. Juni. Karten: 069/1340400

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