"Ich bin kein Entertainer"

TRIER. (chj) Die 80er und 90er Jahre waren musikalisch gar nicht so schlecht. Zumindest, wenn man Musiker wie Phillip Boa hörte. 300 Besucher kamen, um die Independent-Ikone Open-Air zu erleben.

Wo waren die Fans von Phillip Boa? Beim Basketball? Auf dem Olewiger Weinfest? Oder gar beim "Alive"-Festival in Belgien - um Jeanette zu sehen? Lediglich 300 Zuschauer fanden sich vor der Sommerbühne im Exhaus ein, um die - neben Blixa Bargeld - deutsche Independent-Ikone schlechthin zu erleben. Gut, die letzten beiden Alben waren nicht sehr erfolgreich, und viele Jugendliche nehmen Musik nun mal leider nur wahr, wenn sie den ganzen Tag auf Viva und MTV läuft, aber Phillip Boa hat Klassiker, ja, geradezu Hymnen geschrieben wie "Diana", "Kill Your Ideals", "Fine Art in Silver" und "Container Love". Die, die da waren, wussten das auch zu würdigen. Bereits die Ankündigung jedes einzelnen Titels sorgte für Euphorie in den vorderen Reihen. Auch wenn der zur Exzentrik neigende Musiker ein genialer Stückeschreiber und ein guter Sänger ist, macht seine inzwischen wieder nicht nur musikalische Partnerin Pia Lund und seine vorzügliche Band "The Voodooclub" einen großen Teil seiner Live-Qualitäten aus. Und das Gesamtkunstwerk Boa perfekt. Seit fast 20 Jahren ist der gebürtige Dortmunder im Geschäft und kann auf ein entsprechend großes Repertoire - von elektronischen bis punkigen Songs - zurück greifen. Von seinem aktuellen Album "C 90", ein Titel mit dem allenfalls die Jahrgänge vor 1980 noch etwas anfangen können, spielt er nur wenige Stücke. Auf dem Programm stehen fast ausschließlich Kracher: "I Dedicate My Soul to You", "This Is Michael" - wer behauptet, ab Mitte der 80er Jahre habe es keine gute Rock- und Popmusik mehr gegeben, hat die falschen Platten gehört. "Das Arschloch der Nation", wie er von Fans wegen seiner Launenhaftigkeit augenzwinkernd geschimpft wird, hat - für seine Verhältnisse - richtig Spaß am Konzert und liefert mit der mädchen- und märchenhaften Pia Lund, die für fast jeden zweiten Refrain zuständig ist, einen bewegenden Auftritt. Dennoch meint sich der stets gut gekleidete Musikrebell dafür entschuldigen zu müssen, dass er das Publikum nicht besser unterhalte. "Ich bin kein Entertainer", meint Boa. "Ich bin Poet. Ich mache zwischen den Stücken keine Witze oder verkünde politische Botschaften." Das stimmt. Das tut er in den Songs. Boa, der gerne mit seiner Rolle als mainstreamverachtenden Outsider kokettiert, verteilt ein musikalisches Geschenk nach dem anderen. Zuerst spielt er einige, live noch nie dargebotene Stücke wie "Stutter Shop", dann gibt er trotz oder gerade wegen aufkommender "Arschloch"-Rufe mehrere starke Zugaben. Schließlich plaudert er nach dem Konzert noch mit einigen Fans. Eigentlich ganz nett, das Arschloch.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort