"Ich könnte jeden Tag heulen"

BERLIN. Steven E. Kuhn war im ersten Golfkrieg ein hoch dekorierter Mustersoldat. Kein Einsatz, den er nicht bewältigt hätte. Zwölf Jahre später hat sich der mittlerweile 35-Jährige Veteran vom Kämpfer zum Zweifler gewandelt und lehnt den neuen Irakkrieg ab. In dem Buch "Soldat im Golfkrieg" gibt der Wahlberliner Einblicke in das Denken und Fühlen der US-Soldaten.

Mr. Kuhn, seit Ihrem Einsatz beim "Desert Storm" 1991leiden Sie am Golfskriegssyndrom, verursacht durch chemischeIntoxination. Die US-Regierung tut sich aber schwer, Sie undviele andere Veteranen als Kriegsgeschädigte anzuerkennen. WarenSie deshalb gegen den neuen Irakkrieg? Kuhn: Nach vielen Jahren der Bitterkeit und unzähligen Arztbesuchen kann ich heute damit umgehen. Ich habe wahrscheinlich eine geringere Lebenserwartung, aber ich bin einer der Glücklichen, die überlebt haben. Und ich bin rechtzeitig zu der Erkenntnis gekommen, dass man mit seinem Leben auch etwas Sinnvolles machen kann, indem man sich für andere einsetzt. Das Buch ist der erste Schritt, der zweite wird meine Reise in den Irak sein.

Dort wollen Sie Ihre "Mission" von 1991 vollenden. Sie mussten damals untätig zuschauen, wie Saddam Hussein in Basra unschuldige Menschen umbringen ließ. Erst nach dem Krieg erfuhren Sie, dass der damalige US-Präsident Georg Bush sr. die Schiiten zwar zum Aufstand ermuntert, sie aber im entscheidenden Moment im Stich gelassen hatte.

Kuhn: Wenn ich an Basra denke, sehe ich immer noch die verzweifelten Gesichter der erwachsenen Männer mit ihren Familien, die sich an uns Soldaten klammerten und um ihr Leben bettelten. Aber wir durften nicht helfen und mussten diese Menschen ihrem Schicksal überlassen. Das hat mich so wütend gemacht, dass ich zwölf Jahre danach noch immer jeden Tag heulen könnte.

Was haben Sie im Irak vor?

Kuhn : Ich will eine Hilfsorganisation oder ein Krankenhauses un- terstützen. Ich habe viele Erfahrungen mit Logistik, war sieben Jahre Soldat und dann im Produktionsmanagement tätig. Notfalls greife ich auch selbst zur Schaufel.

Viele Golfkriegsveteranen wollen nicht hören, dass die Deutschen gegen den Krieg sind. Auch mit Ihrer Meinung stehen Sie daheim allein auf weiter Flur.

Kuhn: Man hat mich als Memme, antiamerikanisches Schwein und Verräter beschimpft. Das macht mir Angst. Soldaten sollen doch dafür da sein, die freie Meinungsäußerung zu sichern. Dafür habe ich gekämpft und mein Leben riskiert. Jetzt will ich selbst von diesem Recht Gebrauch machen, aber man will mich nicht lassen. Gleichzeitig habe ich auch Verständnis. Denn in meiner Heimat ist man zutiefst davon überzeugt, dass die amerikanische Freiheit und Gerechtigkeit auch für den Rest der Welt gut ist.

Angeblich sind bis zu 160 000 Ve- teranen von 1991 vom Golfkriegssyndrom betroffen. Haben Ihre Leidensgenossen Verständnis gezeigt?

Kuhn: In unserer Gesellschaft redet man nicht über die dunkle Seite des Krieges. Soldaten sind Helden. Und Helden leiden nicht. Wäre ich damals zurück in meine Heimatstadt Harrisburg gegangen, hätte ich niemals gewagt, dieses Bild von mir zu zerstören. Ich kann doch nicht meine Familie enttäuschen. Deshalb unterdrückt man seine negativen Gedanken, geht artig zu den Veteranentreffen und lässt sich in seiner Uniform feiern. Das Golfskriegssyndrom wird zwar mittlerweile anerkannt, aber die Ursachen sind angeblich so vielfältig, dass man noch immer nichts Genaues weiß. Mir wurde eine Nervengasvergiftung bestätigt, allerdings mit sehr untypischen Symptomen. In den Augen der Army bin ich deshalb nicht wirklich krank. Die wollen partout nicht darüber reden.

Glauben Sie, dass die Army diesmal besser auf chemische Attacken vorbereitet war?

Kuhn: Sie ist jedenfalls professioneller geworden. Heute gibt es in jeder Einheit Psychologen, die Soldaten bei einer Vergiftung sofort helfen. Ich habe gehört, dass viele Soldaten ihre Spermien vor dem Krieg einfrieren ließen. Das ist ein Zeichen von Patriotismus: man hat eine Heidenangst vor einer Vergiftung, zieht aber trotzdem in den Krieg.

Den Amerikanern scheint ihr Patriotismus in die Wiege gelegt worden zu sein.

Kuhn: Das hat viel mit der Gründung der Vereinigten Staaten zu tun und dem Bürgerkrieg. Kein Ort, wo es nicht mindestens eine Straße gibt, die nach einem Kriegshelden benannt wurde. Uns wurde schon in der Schule gelehrt, dass uns erst die Soldaten ein freies Leben ermöglicht haben.

Sie sind gegen den Krieg und trotzdem ein glühender Patriot. Die Politik von George W. Bush lehnen Sie zwar ab, dennoch weckt er als Präsident Ihren Patriotismus. Wie passt das zusammen?

Kuhn: Ich muss das trennen, weil der Patriotismus in meinen Genen verankert ist. Ich liebe mein Land, und als Amerikaner bin ich stolz auf das, was wir geschaffen haben. Und ich verspüre ein Pflichtgefühl gegenüber meinem Präsidenten. Deshalb muss ich noch lange nicht seine Politik unterstützen. Dieser Krieg wurde von Amerika aufgezwungen, gegen den Willen der Völkergemeinschaft.

Berichte aus Bosnien und dem Kosovo zeigen, dass inzwischen der Respekt der Pazifisten vor den Soldaten wächst und dass die Soldaten froh sind, wenn zumindest einige Pazifisten versuchen, den Hass abzubauen.

Kuhn: Die meisten Pazifisten sind in meinem Augen zu extrem. Genau wie die Kriegsbefürworter. Sie lassen nur ihre Meinung gel- ten. Ich bin aber überzeugt, dass es auch gerechte Kriege gibt. Kuwait musste 1991 von Saddam Hussein befreit werden. Mein Buch soll helfen, zwischen den gegensätzlichen Parteien zu vermitteln.

Wird es auch in Amerika erscheinen?

Kuhn: Ich würde mir das sehr wünschen. Es wundert mich natürlich nicht, dass sich bisher noch kein Verlag interessiert hat. Solch ein Buch hat es in den USA noch nicht gegeben. Mir ist auch klar, dass ich dann nie wieder in Amerika willkommen wäre. Es ist aber sehr wichtig, dass meine Landsleute endlich auch andere Meinungen kennen lernen.

Die Fragen stellte unser Mitarbeiter Olaf Neumann.

Steven E. Kuhn/Frank Nordhausen: "Soldat im Golfkrieg", Ch. Links Verlag Berlin, 144 Seiten, 9,90 €.

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