"Ich war ein Mitläufer"

TRIER. Warum erst jetzt? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch das halbstündige Gespräch, das Ulrich Wickert mit Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass führte. Ob die Antworten des Schriftstellers der Öffentlichkeit genügen, wird sich zeigen müssen.

Es war ein überaus ernstes Gespräch, in dessen Verlauf sowohl Ulrich Wickert als auch Günter Grass eine gewisse Besorgtheit anzusehen und anzuhören war. Und wie beantwortet der Literatur-Nobelpreisträger die Frage, warum er sich erst nach so vielen Jahrzehnten zu seiner unfreiwilligen und kurzen Mitgliedschaft in der Waffen-SS äußert? "Das lag bei mir begraben", sagt Grass. Erst in den vergangenen drei Jahren, während der Arbeit an seinem neuen Buch "Beim Häuten der Zwiebel", habe er innere Widerstände gegen das autobiografische Schreiben überwinden können. Ganz ruhig, aber sehr bestimmt weist der Schriftsteller darauf hin, dass er dem Thema nicht ausgewichen sei. Sein Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das die ganze Kontroverse ins Rollen brachte, sei keineswegs ein Geständnis gewesen. Und Grass macht ganz klar, dass es jedem offen stehe, Kritik zu äußern. Aber genauso sei es sein gutes Recht, die Gründe dafür zu nennen, warum er sich erst jetzt zu dem Thema äußere. Wer richten wolle, der möge richten. Vieles an der in diesen Tagen aufgekommenen Kritik an seiner Person, so Grass, habe für ihn mit Aburteilen und Selbstgerechtigkeit zu tun. Was den Schriftsteller in diesem Zusammenhang viel mehr zu beschäftigen scheint, ist die Frage, warum er sich als Jugendlicher von der Nazi-Ideologie so verblenden ließ. Grass wirft sich vor, damals nicht die richtigen Fragen gestellt zu haben, und er sagt: "Ich bin ein Mitläufer gewesen." Berechtigten Wert legt Grass auf die Feststellung, dass er sich keiner Verbrechen schuldig gemacht habe - was sich eigentlich schon aus seinem damaligen Alter von 17 Jahren ergeben sollte. Er fügt aber auch dies hinzu: Wäre er damals zwei, drei Jahre älter gewesen, hätte er nicht für sich garantieren können. Ulrich Wickert spricht den Schriftsteller auch auf dessen lautstarke Kritik am Besuch des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl mit US-Präsident Ronald Reagan auf dem Bitburger Soldatenfriedhof mit seinen Gräbern von Angehörigen der Waffen-SS an. Grass nennt den Vorgang einen Propaganda-Akt; seine Kritik habe sich gegen ein "Benutzen der Toten" gerichtet. Was immer das heißen mag. Erst im letzten Drittel des Interviews, als es unter anderem um einige schriftstellerische Dinge geht, lockert sich die Atmosphäre etwas. Grass, der sich von Wickert ohne seine geliebte Pfeife befragen lässt, gelingt sogar ab und zu ein Lächeln. Ein Anderer hätte vielleicht bohrendere Fragen gestellt. Wenigstens ließ sich Wickert nicht auf das Niveau derer herab, die in der ganzen Sache nur eine gezielte Werbekampagne für das neue Grass-Buch sehen. Und Grass selbst? Was immer man ihm vorwerfen mag, er neigt zumindest ganz offenkundig nicht zu unreflektierten Schnellschüssen, wie sie manche Kommentatoren und Kritiker in der vergangenen Woche demonstriert haben.

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