Im Kampf gegen die Geschichtsfälscher

BERLIN. Helmut Kohl, von 1982 bis 1998 Bundeskanzler, stellte in der Hauptstadt seine Memoiren vor: 700 Seiten "Erinnerungen 1930-1982".

Die Pressekonferenz, so ist es zumindest in der Einladung ausgedruckt, beginnt mit einer Enttäuschung: Der Altbundeskanzler werde "keine aktuellen politischen Fragen" beantworten, stellt eine Verlagsmitarbeiterin im Saal des noblen Berliner Hilton-Hotels klar. Helmut Kohl nickt beifällig und weckt im nächsten Moment gegenteilige Erwartungen. Nach den Ereignissen der "letzten" Tage und Stunden" halte er es doch für geboten, "irgendeine Erklärung" abzugeben. Dabei setzt der 73-jährige eine staatsmännische Miene auf, als sei er tatsächlich noch in Amt und Würden.Präsidentschaftskandidatur überschattet Vorstellung

Natürlich geht es um die qualvoll ausgehandelte Präsidentschaftskandidatur. Aber mehr als ein wohlformuliertes Lob über seinen einstigen Finanzstaatssekretär Horst Köhler kommt Kohl nicht über die Lippen. So bleibt noch genug Zeit für den eigentlichen Anlass der Inszenierung. Der Droemer-Verlag hat zur Geschichtsstunde gebeten. "Erinnerungen 1930 - 1982" heißt das beinah 700 Seiten dicke Werk aus der Feder Helmut Kohls. Es handelt von seinen Kindheitsjahren in einer zutiefst konservativen Familie und den ersten politischen Gehversuchen bis hin zu den dramatischen Ereignissen vor über zwei Jahrzehnten, als Kohl Bundeskanzler wurde. Der Buchvorstellung war eine beispiellose PR-Kampagne voraus gegangen. Die Bild-Zeitung, sonst eher den nachrichtlichen Häppchen verpflichtet, druckte gleich seitenweise Buchauszüge und Interviews mit dem Autor ab. Im Blätterwald der Sonntags-Gazetten rauschte es kaum minder mächtig. Kohls Auftritt im blaugrauen Anzug über einer anthrazitfarbenen Strickjacke wird dann auch von einem Meer geschäftiger Fotografen und Kameraleute umspült, das an alte Bonner Kohl-Zeiten erinnert. Der Oggersheimer geniesst den Trubel mit der typisch malenden Kinnbewegung. Seine massige Gestalt thront hinter zwei Buchexemplaren und einem Wasserglas. Und jeder im Saal spürt, der Mann hat Freude am Rückblick. Er ist ganz mit sich im Reinen. Dabei sollte das Leben des 16 Jahre währenden Dauerkanzlers gar nicht zwischen Buchdeckel gespresst werden. Aber die "Geschichtsfälscher auf breiter Front" (Kohl) hätten ihn schließlich doch dazu getrieben. Im Vorwort seiner Memoiren wird dieser missionarische Eifer geradezu pathetisch formuliert: "Es sind so viele politische Klischees über meinen Werdegang und meine Regierungszeit in die Welt gesetzt worden, dass die Legenden über die historischen Zusammenhänge bereits zu verdrängen drohen, wie es wirklich war. Deshalb habe ich nun selbst zur Feder gegriffen." Durch die Fragen der Journalisten fühlt sich der anfangs als "Birne" verspottete und später als "Machtmaschine" bewunderte Herr in seiner Gewissheit bestätigt. Wie er denn mit dem Irrtum von den "blühenden Landschaften" und seiner geschrumpften Popularität zurecht komme, will ein Medienkollege wissen. Ob er ihn schon mal im Osten begleitet habe, schießt Kohl in belehrendem Tonfall zurück. "Es gibt keinen zweiten deutschen Politiker, der eine solche Zuhörerzahl vor sich sieht wie ich." Kohl ist ganz der Alte. Nur gelegentlich weicht die Selbstzufriedenheit der Nachdenklichkeit. Als die Rede auf Schwächen und Fehler seiner politischen Karriere kommt, überlegt er: "Wer so viele menschliche Schicksale beeinflusst hat, der muss sich fragen, hast du richtig gehandelt." Namen fallen bei ihm nicht, obwohl sich Wolfgang Schäuble förmlich aufdrängt. Handelt es sich doch um Kohls vormals engsten Duzfreund, mit dem er sich wegen der CDU-Spendenaffäre entzweit hatte und dem beim Kandidatenpoker um die Rau-Nachfolge übel mitgespielt wurde. Darauf angesprochen reagiert Kohl beinah eisig. In den "Erinnerungen" des Pfälzers findet sich der Schwabe nicht einmal im Register wieder.Schäuble nur noch Fußnote der Geschichte

Wer darin für die aktuelle Berichterstattung etwas finden wolle, könne sich "die Zeit sparen," befindet er trocken. Kohls Kanzlerjahre, die auch untrennbar mit Schäuble verbunden sind, werden erst im zweiten Band behandelt. Das Buch ist für April 2005 angekündigt. Der CDU-Patriarch lässt aber schon mal keinen Zweifel daran, darin auch die Spendenaffäre in aller Ausführlichkeit zu behandeln. Die Frage nach Schäuble, so Kohl zu einem Journalisten, werde er dann nicht mehr gestellt bekommen, "weil die Zeit weiter gegangen ist". Schäuble ist für Kohl offenbar nur noch eine Fußnote der Geschichte.

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