Im Schweinsgalopp durch "Tosca"

Sie hatten nur jeweils 75 Minuten, gerade mal einen halben ersten Akt von "Tosca": Markus L. Frank, 1. Kapellmeister in Dessau, und Frank Maximilian Hube, in gleicher Funktion in Lübeck tätig, stellten sich im Rahmen einer Probe als Bewerber für die Stelle des Generalmusikdirektors in Trier vor.

Immerhin rund 50 Enthusiasten hatten sich trotz der völlig verspäteten Ankündigung kurzfristig im Theater eingefunden, um sich ein Bild vom möglichen neuen ersten Mann des Trierer Musiklebens zu machen. Zu sehen und hören bekamen sie zweimal eine gute Stunde Hetze durch einen halben ersten Akt von "Tosca" mit einer auf den letzten Drücker zusammengewürfelten Besetzung, die bis kurz vor Toresschluss nicht einmal wusste, ob szenisch oder konzertant geprobt würde.Kurze Rückblende ins Jahr 1994. Damals gab es fünf Finalisten um die GMD-Stelle. Sie gastierten innerhalb von mehreren Wochen, zwei davon mit großen Sinfoniekonzerten, drei mit einem Rigoletto-Dirigat - inklusive vorheriger Arbeit mit dem Orchester. Es waren fünf große, spannende Abende für das Trierer Musikleben, die vorher ausführlich angekündigt waren, detaillierte Informationen über die Bewerber inklusive. Eine interessierte Öffentlichkeit konnte sich unter Live-Bedingungen einen Eindruck verschaffen. Es gab ausführliche Besprechungen, viele Diskussionen - und am Ende mit István Dénes einen Sieger, der sich gerade durch ein phänomenales Abend-Dirigat als letzter und gar nicht mehr groß eingeplanter Bewerber durchsetzte.Auf der Basis des diesmaligen Verfahrens - soweit es für die Öffentlichkeit zugänglich war - eine persönliche Bewertung der Bewerber abzugeben, wäre unseriös. Es gab zwei völlig unterschiedliche Stilisten zu sehen: einen nervösen, bis ins Pedantische detailgenauen Orchesterleiter mit wenig Kontakt zur Bühne und einen charismatisch wirkenden Sänger-Dirigenten mit Blick aufs Ganze und Sinn für effektvolles Timing. Vom ersten Eindruck her eine glasklare Angelegenheit. Aber daraus auf die Fähigkeiten im Ernstfall zu schließen, das wäre, wie wenn ein Fußball-Bundesligist einen Stürmer einkauft, nachdem er auf der Trainingswiese zehn Minuten am Kopfball-Pendel auf und ab gehüpft ist.Bei der Stadt scheint man solche Zweifel allerdings nicht zu haben. Am Rande der Probe wurde bekannt, dass der Kulturausschuss, dem die entscheidende Rolle zukommt, gleich heute abend um 21 Uhr, unmittelbar nach dem dritten Probedirigat, den künftigen GMD benennen soll. Der Stadtrat dürfte dieses Votum nur noch bestätigen.Dazu passt, dass in Kreisen von Stadtratsmitgliedern bereits über die Frage spekuliert wurde, ob der dritte Bewerber heute abend überhaupt noch antritt. Sein Name wird nach wie vor geheim gehalten. Einer, der lange hoch gehandelt wurde, ist es definitiv nicht: Das Saarbrücker Super-Talent Constantin Trinks hat auf Trier offenbar keine Lust mehr. Meinung Verpasste Chance Man kann nur hoffen, dass der weise alte Kapellmeister Siegfried Köhler, den die Stadt als Berater hinzugezogen hat, den Trierern einen tauglichen neuen GMD beschert. Aber unabhängig vom Ergebnis hat das Verfahren schon jetzt jede Menge Flurschaden angerichtet. Es wäre die Chance gewesen, die ohnehin schrumpfende, auf dem Absprung nach Luxemburg befindliche Anhängerschar des sinfonischen Lebens in Trier nach dem Ärger um den Abgang von István Dénes zu versöhnen und einzubinden. Mit einem offenen, der Wichtigkeit der Funktion und dem Anspruch auf Transparenz würdigen Verfahren. Der jetzige Schweinsgalopp hat mit alledem nichts zu tun. Dass man 30 Minuten, nachdem der letzte Bewerber den Taktstock sinken lässt, de facto bereits entscheiden will, lässt selbst minimale Höflichkeits-Spielregeln außer Acht. Nicht einmal das Orchester kann unter solchem Zeitdruck seriös im Lichte des öffentlichen Vordirigats seine Meinung bilden. Es sei denn, die Sache ist eh längst abgemacht und das öffentliche Probedirigat nur eine lästige Pflicht, deren man sich irgendwie formal entledigen wollte. Dann wäre es eine Farce, die man weder dem Publikum noch den Bewerbern zumuten sollte. d.lintz@ volksfreund.de

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