Im Vorhof der Hölle

TRIER. Beeindruckender Auftakt: Mit Walter Weyers' Inszenierung von Shakespeares "Hamlet" startete das Schauspiel im Großen Haus des Theaters grandios in die Saison 2003/2004.

Großes hat sich das Trierer Schauspiel zur Eröffnung der letztes Saison in der Ära Heinz Lukas-Kindermann vorgenommen: William Shakespeares "Hamlet", das Trauerspiel um den zaudernden Dänenprinzen, ist - neben Goethes "Faust" - sicherlich das Drama der Weltliteratur schlechthin. Wer es aufführt, geht immer ein beträchtliches Risiko ein: Top oder Flop? Der Mann, der es für das Trierer Theater richten soll, ist an der Mosel kein Unbekannter. Walter Weyers, heute Intendant des Landestheaters Schwaben in Memmingen, fungierte sechs Jahre als Schauspieldirektor in Trier. Er zeichnete unter anderem auch für die 1997 gefeierte "König Lear"-Aufführung verantwortlich, deren Ausstattung damals - wie auch in der aktuellen "Hamlet"-Inszenierung - Heidrun Schmelzer besorgte. Um es gleich zu sagen: Auch mit seinem Trierer "Hamlet" ist Weyers ein großer Wurf gelungen. Klar, der düstere und kesselförmige Raum, dessen Boden mit Sand bedeckt ist und in dem die gesamte Tragödie ihren Lauf nimmt, ist natürlich kein Lustgarten - auch wenn einige Szenen von Weyers Inszenierung doch stark von fleischlicher Lust und Wollust geprägt sind. Die Bühne, spartanisch mit wenigen harten Stühlen oder einem weißen Gitterbett ausgestattet, entpuppt sich eher als Vorhof zur Hölle, in dem die zeitlos, jedoch durchweg dunkel gekleideten Figuren in ihrem Leid und ihrem Schmerz, ihrem Neid und ihrem Hass geradezu eingekesselt sind. "Die Welt ist aus dem Leim", sagt Hamlet. Die Besucher spüren das, empfinden das vor ihnen ausgebreitete Leid mit und werden von dem tragischen Geschehen in den Bann gezogen. Weyers hat Shakespeares Text stark gekürzt; die Aufführung dauert - einschließlich Pause - rund dreidreiviertel Stunden. Die verwickelte Handlung wird straff dargeboten, ist in sich schlüssig. Der Streichung zum Opfer fallen unter anderem Hamlets Schulfreunde Rosenkranz und Güldenstern, der norwegische Prinz Fortinbras sowie einige berühmte Zitate. Doch das tut der Aufführung keinen Abbruch. Moderne Übersetzung als Textgrundlage

Gut hat Weyers daran getan, bei seiner modernen Inszenierung auf die konventionelle Übertragung von Schlegel/Tieck zu verzichten und die neue Übersetzung von Frank-Patrick Steckel zu Grunde zu legen. Aus dem Rahmen fällt allerdings in Hamlets berühmtem Monolog ein Satz wie "Fickt euch alle ins Knie mit eurer Scheiße!" So drastisch muss es doch nicht sein. Weyers Zeichnung der Charaktere besticht durch ein nuancierte Feinabstimmung. Überragend an diesem Abend aber ist die hervorragende Leistung des gesamten Ensembles. An erster Stelle zu nennen Markus Angenvorth, der der schwierigen Titelrolle in allen Facetten gewachsen ist. Den "jungen Wilden" und den gespielten Irrsinn mit Hin- und Herwälzen auf Boden und Bett bietet er überzeugend, auch den zögerlichen Zauderer und Moralisten nimmt man ihm ab. Eva Steines spielt sowohl die in Hamlet verliebte, dann brutal zurückgewiesene und gedemütigte Ophelia mit "Herzblut", verzweifelt am Tod des Vaters, wird - hervorragend in ihrem Leid - wahnsinnig und letztlich zur Selbstmörderin. Peter Singer gibt den Brudermörder und Usurpator Claudius als schmierigen, lüsternen Frauenhelden, der - als er selbst unter Druck gerät - greint und winselt, aber aus Machtgier weiterhin zu jeglichem Verrat bereit ist. Verena Rhyn wird als Königin Gertrud hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zu ihrem Sohn Hamlet und ihrer Leidenschaft zu Claudius. Doch letztlich siegt der Trieb. Als aufgeblasener Oberkämmerer Polonius brilliert Michael Rasche mit so manchem Wortschwall, ist aber immer ein besorgter Vater und wird aus falscher Pflichterfüllung zur tragischen Figur. Raimund Wissings Laertes: ein koketter Höfling, der nach Verlust von Vater und Schwester zum Rächer wird und sich für des Königs Hinterlisten einspannen lässt. Klaus-Michael Nix spielt einen omnipräsenten, mit nervigen Schalmei-Tönen das Geschehen begleitenden Horatio, dem die Rolle des Chronisten zugedacht ist. Manfred-Paul Hänig besticht als verschrobener Geist des toten Königs und als Wandermime. Den philosophierenden Totengräber gibt Oberspielleiter Klaus-Dieter Köhler. Lang anhaltender Applaus des Publikums. Termine: 25., 31. 10.; 1., 4., 9., 14. 11.; Tel. 0651 -718 1818

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