Im Wunderland der Superstars

Ein bunter, grandios kostümierter Bilderbogen und eine Talentschau bemerkenswerten Ausmaßes zu durchweg konventioneller Musik: So präsentiert sich das Kulturhauptstadt-Musical "Alice". Das Theaterstück dahinter ist freilich eher flach und rechtfertigt kaum die Premieren-Länge einer Wagner-Götterdämmerung.

 Musikalisch und akrobatisch zeigen sich die Darsteller von Alice Superstar in Bestform. TV-Foto: Cordula Fischer

Musikalisch und akrobatisch zeigen sich die Darsteller von Alice Superstar in Bestform. TV-Foto: Cordula Fischer

Trier. Es ist schon rein logistisch eine reife Leistung, die die Trie rer Tufa und ihre Kooperationspartner auf die Beine gestellt haben: An die hundert junge Akteure vor und hinter den Kulissen unter einen Hut zu bringen, monatelange Probe-Arbeiten zu organisieren, ausgiebiges Coaching zu betreiben, um aus begabten Amateuren bühnenreife Sänger und Darsteller zu machen.

Mit Coolness und Professionalität

Regisseur Alexander Etzel-Ragusa, Musik-Chef Michael Kiessling und Choreograf Gianfranco Celestino haben ganze Arbeit mit ihren jungen Schützlingen geleistet, die am Premierenabend im Großen Haus des Trierer Theaters mit erfrischender Coolness und Professionalität auftreten und sich nicht einmal von tontechnischen Aussetzern aus der Ruhe bringen lassen.

Man merkt, dass die Rollen den Akteuren auf den Leib geschrieben worden sind, denn sie nehmen auf die unterschiedlichen Möglichkeiten sorgfältig Rücksicht. Da wird niemand in einen Auftritt gezwungen, mit dem er sich unwohl fühlt. Und trotzdem dürfen alle ihre Fähigkeiten zur Geltung bringen - manche vor allem gesanglich so eindrucksvoll, dass eine weitere Karriere durchaus im Bereich des Möglichen erscheint.

Ein absolutes Plus der Produktion sind die prächtigen Kostüme, in die Ulli Kremer alle Fundus-Künste hineingepackt hat. Das macht Spaß, zuzusehen, wie Szene für Szene neue bunte Farbtupfer gesetzt werden, die ihre Entsprechung in pfiffigen Video-Einblendungen finden. Ein Fest fürs Auge - und auch hier erstaunt die Souveränität, mit der sich die Darsteller auf der Bühne in den keineswegs einfach zu handelnden Klamotten zurechtfinden.

Die Musik ist ein braver Fischzug durch 40 Jahre Pop-Geschichte, wobei die Betonung auf "Geschichte" liegt. Gelegentlich verirrt sich mit Oscar-Song-Sieger "It's hard to be a pimp" oder Sandi Thoms "I wish I was a punkrocker" oder "Buttons von den Pussycat Dolls" mal was Zeitgenössisches in den Soundtrack, aber vieles spielt sich in den sicheren Gefilden gewesener Top-Hits ab. Und die Eigen-Kompositionen der Bukowski-Brüder beweisen in den gefälligen Arrangements von Michael Kiessling ausgeprägten Mut zum Kitsch. Unterm Strich nette Musik ohne Ecken und Kanten, mit der man locker die nächste DSDS-Saison beschallen könnte.

Viele platte Klischees

Genau da liegt auch die Crux des Stücks. Laut Programmheft will es "das System der Casting-Shows kritisieren und infrage stellen". Stattdessen bildet es die Szene von DSDS und Co. über weite Strecken in genau der gleichen platten Klischeehaftigkeit ab wie die Shows im Fernsehen es tun. Da fehlen Biss und Ironie, die Nummern werden in berechenbarer Dramaturgie abgewickelt, die Personen sind Abziehbilder, und selbst die kritischen Untertöne kommen allenfalls im Gewand einer milden Persiflage daher. Provokativ formuliert: RTL könnte das Stück problemlos kaufen und am Samstagabend senden - es würde das Stammpublikum nicht nennenswert irritieren. Man müsste allerdings die letzte halbe Stunde wegschneiden. Denn erst, wenn sich die vierte (!) Alice-Stunde bereits dem Ende zuneigt, kommt Autor Etzel-Ragusa endlich zur Sache. Da bröckelt beim Superstar-Finale die Fassade, da dringt echte Irritation ein in das abgekartete Spiel. Die Handlung schlägt Purzelbäume, der Quoten-Zynismus von Casting-Shows tritt zutage. Da hat sich das Publikum aber schon so an die Seichtigkeit des Seins gewöhnt, dass es auch an Stellen lacht, an denen es längst nichts mehr zu lachen gibt. Am Ende nach knapp viereinhalb Stunden frenetischer Jubel im vollbesetzten Theatersaal, der sich nicht nur dadurch erklären lässt, dass viele Plätze von Angehörigen der Mitwirkenden besetzt sind. Er ist auch Anerkennung für riesiges Engagement, viel Arbeit und reichlich Talent auf der Bühne.

On Tour: 2. Juni, Kulturzentrum Ettelbrück; 27. Juni, Rotonde 2, Luxemburg.

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