In Gottes Namen

Am Anfang unserer Gotteserfahrung steht nicht nur das Wort; am Anfang wütet auch die Gewalt. Und der Prophet Moses ist der Täter - vorsätzlich und berechnend.

Als er eines Tages seine Brüder bei der Fronarbeit besucht, sieht er, wie ein ägyptischer Vorarbeiter einen Hebräer, also einen Stammesbruder, schlägt. Und Moses handelt prompt, wie es im zweiten Buch der Bibel steht: Er "sah sich nach allen Seiten um, und als er sah, dass sonst niemand da war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sand."
Ein wahrer Gewaltexzess folgt dann auf der Flucht der Israeliten aus Ägypten, aber diesmal richtet sich die Vernichtung gegen das eigene Volk. Denn als Moses vom Berg Sinai mit den Gesetzestafeln Gottes hinabsteigt, muss er sehen, wie sein eigenes Volk verwildert ist und einen Freudentanz aufführt - um ein Goldenes Kalb als Gottesersatz. Wieder handelt der Prophet strategisch. Moses tritt ans Lagertor und spricht: "Wer für den Herrn ist, her zu mir! Da sammelten sich alle Leviten um ihn. Er sagte zu ihnen: So spricht der Herr, der Gott Israels: Jeder lege sein Schwert an. Zieht durch das Lager von Tor zu Tor! Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nächsten." Und die Leviten führen aus, was Moses ihnen befiehlt. Die Bilanz der Strafaktion ist fürchterlich - 3000 Angehörige des eigenenSerie Glaube und Gewalt


Volkes verlieren an diesem Tag unter dem Schwert der Landsleute ihr Leben.
Das war nicht die Einzeltat eines herrsch- und rachsüchtigen Mannes, eines religiösen Eiferers. In ihr kamen jene Gebote zum blutigen Vollzug, die Gott selbst Moses anvertraut hatte: "Du sollst neben mir keine anderen Götter haben", heißt es darin und noch einmal leicht abgewandelt: "Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen." Schließlich gibt Gott, der auf Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit besteht, im Dekalog nachhaltig zu bedenken, dass er "ein eifersüchtiger Gott" ist und darum jene, die ihm feind sind, bis zur vierten Generation verfolgen werde.
In der Sinai-Erzählung findet sich das Manifest eines bis dahin unbekannten Monotheismus - sieht man von Pharao Echnatons Sonnengott-Glauben ab. Und zugleich wird Gewalt zur Durchsetzung dieses Glaubens an nur einen Gott legitimiert.
Nicht erst seit den Attentaten von Paris wird darüber diskutiert, ob den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam ursprünglich ein Potenzial an Gewalt innewohnen könnte. Dennoch stellt sich die Frage immer neu und unvermindert dringlich. Wobei die Zeitabstände solcher Debatten kürzer werden. Weil eben zu viel in dieser Welt zu geschehen scheint und zu viel - so irrsinnig dies auch ist - im Namen des Glaubens verübt wird. Wie die Terrorakte von Al-Kaida oft in Ländern der westlichen Welt; wie der sogenannte Glaubenskrieg des "Islamischen Staats"; wie das blinde Massenmorden der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria und auch das Wüten der sich christlich nennenden Miliz "Lord\'s Resistance Army" in Uganda.
Das alles sind erst einmal nur Beobachtungen, dem Tag abgeschaute Befunde. Aber es bleibt der Eindruck zurück, als hätten sich die monotheistischen Religionen ineinander unheilvoll verhakt. Sorgten wir uns zuletzt noch um den drohenden oder schon tätigen "Clash of Civilizations" (Kampf der Kulturen), so ist vermehrt vom "Clash of monotheisms" die Rede.
Der Blick zurück zeigt, dass mit der Geburt des Monotheismus im wahren Sinne des Wortes die Stunde der Glaubenswahrheit schlägt. Denn wer nur noch an einen Gott glaubt und an ihn die Fragen nach dem Sinn des Lebens richtet, lernt zu unterscheiden - zwischen richtig und falsch. Wenn mein Gott der wahre ist, dann müssen andere Götter zwangsläufig falsche und ihre Verehrung unvereinbar mit meinem Glauben sein. Die Ausschließlichkeit des Monotheismus hat strukturell zwei positive Effekte: Er wirkt mit der Abgrenzung von anderen nach außen und wirkt durch die Festlegung, was wahr ist, nach innen in die Glaubensgemeinschaft hinein. Die Pointe des Monotheismus ist die Haltung des Entweder-Oder. Er stiftet Identität. Dies vor allem muss in den Anfängen des Judentums entscheidend gewesen sein.
Das Goldene Kalb symbolisiert die Gefahren für den noch jungen Glauben. Und so kämpft Moses gegen das, was für ihn nicht vereinbar ist. Seine Ablehnung ist geprägt von religiöser Intoleranz. Ein Bundesvolk, ein Gott - die monotheistischen Anfänge muten zunächst regional, auch provinziell an. Doch während im Judentum weiterhin die Abstammung die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft markiert, macht der Apostel Paulus für das Christentum die ganze Welt zum Operationsgebiet, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk nennt. Der paulinische "Geniestreich" ist die Taufe, die aus dem Volk der Gläubigen eine "spirituelle Großkörperschaft" mit entsprechender Wirkmacht werden lässt.
Mit den Beobachtungen der Gegenwart und den Erinnerungen an die biblisch überlieferten Ursprünge entfalten derzeit Überlegungen ihre Wirkung, wonach Religionen nicht per se gut sind. Denn "Glaube an Gott kann den Menschen enthemmen, brutalisieren, mit Ekel und Hass erfüllen. Angriffe auf andere und deren Ermordung können als heilige Handlung liturgisch inszeniert werden", so der protestantische Theologe Friedrich Wilhelm Graf. Nun kann keine Religion ein Interesse daran haben, Gewalt kultisch zu pflegen. Doch fragt Graf auch, wie sich Tendenzen der Entgrenzung vermeiden lassen, wenn das Unbedingte der eigenen Glaubensüberzeugung auch mit Pathos aufgeladen wird.
Heutzutage wird kein seriöser Glaubensvertreter Gewalt zur Ausübung und Behauptung seiner Religion proklamieren. Auch im Koran gibt es neben den abstoßenden und nur historisch zu verstehenden Schwertversen Suren, die sich gegen das Auserwähltsein richten. So heißt es in Sure 2:148: "Es hat ein jeder eine Richtung, nach welcher er sich wendet. Wetteifert daher um das Gute!"
Das Christentum wiederum hat sich spät zu einer Kultur der Versöhnung durchgerungen - mit der Erklärung "Dignitatis humanae" von 1965. Kurz vor Schluss des Zweiten Vatikanischen Konzils verabschiedeten die Bischöfe das folgenreiche Dokument und erklärten, "dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang (...) wie jeglicher menschlicher Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln." Dazu gibt es keine Alternative. Die Aufgabe von Exklusivitätsansprüchen und der damit verbundene Austritt aus geistiger Selbstisolation eröffnet das Forum eines Religionsdialogs.
Das ist der Blick nach vorn. Der Blick zurück zu den Ursprüngen aber zeigt auch, dass im Monotheismus nach den Worten von Bischof Wolfgang Huber "eine tendenzielle Gewalttätigkeit" lauert.
Der Autor Lothar Schröder ist Kulturredakteur der Rheinischen Post. In der Serie "Glaube und Gewalt" wird der TV in den nächsten Wochen weitere Essays veröffentlichen.

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