In Merzig ist nichts mehr herzig

Ein handfester Skandal erschüttert seit Wochen die Kulturszene und die Kommunalpolitik im beschaulichen Merzig. Es geht um manipulierte Akten, gefälschte Unterschriften, dicke sechsstellige Etat-Überschreitungen und eine schier unglaubliche Vermischung von Amts- und Privatgeschäften. Im Fokus: die Leiterin des städtischen Kulturamtes.

Merzig. Noch bis vor wenigen Wochen galt Martina M. als Vorzeigefrau. Sie habe Merzig in ein "Musik-Mekka" verwandelt, lobte die Presse, der örtliche Karnevalsverein krönte sie zur "großen Zampana", Oberbürgermeister Alfons Lauer präsentierte seine Kulturamtsleiterin gerne als Aushängeschild einer modernen Verwaltung.

Das hat sich gründlich geändert. Die 42-Jährige wurde suspendiert, zum Jahresende soll sie endgültig gehen. Staatsanwaltschaft und Kommunalaufsicht ermitteln, der Landtag berät, von einem Haushaltsloch bis zu einer Million Euro ist die Rede, der OB berichtet von gefälschten Verträgen und mehr als 300 manipulierten Buchungsbelegen. Ein "halbseidenes System im Rathaus" haben die Grünen ausgemacht, täglich kommen neue, unglaubliche Details an den Tag.

Bei näherem Hinsehen offenbart sich eine Geschichte, die eher einen tragischen als einen kriminellen Hintergrund hat. Bis vor wenigen Jahren war Merzig kulturell überwiegend durch den privaten "Zeltpalast" in Erscheinung getreten. In den letzten Jahren mühte sich die Stadt zunehmend, auch eigenes Profil auf dem Kulturveranstaltungs-Markt zu gewinnen.

Mit erstaunlichem Erfolg - jedenfalls auf den ersten Blick. In der Kreisstadt, größenmäßig etwa mit der Verbandsgemeinde Konz vergleichbar, gastierten Größen der Rock-, Liedermacher- und Kabarett-Szene, wie man sie sonst allenfalls in Trier oder Saarbrücken zu sehen bekommt. Jahr für Jahr wurde das Programm illustrer. Im Sommer 2008 wagte man sich gar als kommunaler Veranstalter auf den Open-Air-Markt, lockte mit Stars wie Ich&Ich, Klaus Doldinger, Sasha, Jimi Blue Ochsenknecht.

Doch dieser letzte Dreh an der Schraube sorgte für ein jähes Ende der Kulturmetropolen-Träume. Das Festival endete mit einem (geschätzten) Defizit von bislang 170 000 Euro, und nicht nur das: Der von der Kulturamtsleiterin zu Hilfe gerufene örtliche Sparkassenchef musste an einem Samstag 28 000 Euro in bar aus einer seiner Filialen beschaffen, um "Ich&Ich" zu bezahlen und so ein Platzen des Konzerts zu verhindern.

Danach fiel binnen weniger Tage ein über Jahre aufgebautes Kartenhaus in sich zusammen. Das Merziger Kultur-Wunder entpuppte sich als Mogelpackung. Eine halbe Million angeblich zugesagter und in die Finanzierung einkalkulierter Sponsorengelder war nie geflossen. So wie es aussieht, hatte man die wachsenden Finanzlücken mit Bar-Transfers von einer Veranstaltung zur nächsten kaschiert, sogar mit eigenem Geld soll Martina M. ausgeholfen haben. Aber die Löcher wurden immer größer, es gab Zahlungsrückstände bei Gläubigern - bis zum großen Knall.

Gefälschte Quittungen und Sponsorenverträge



Inzwischen steht nach Aussage des OB fest, dass zur Kaschierung des wachsenden Debakels Sponsorenzusagen, Quittungen und andere Urkunden gefälscht wurden. In Merzig fragt man sich allerdings, wieso angesichts solcher Dimensionen niemand im Rathaus etwas bemerkt haben will. Zunehmend gerät der SPD-Verwaltungschef selbst in die Schusslinie, vor allem, seit Protokolle und Notizen auftauchen, die den Schluss nahelegen, es habe schon seit längerem Verdachtsmomente gegen M. gegeben. Lauer verweist auf die "besondere Vertrauensstellung", den die Amtsleiterin bei ihm, innerhalb der Verwaltung und bei den Bürgern genossen habe. In Interviews spricht er von einem "traurigen und tragischen Fall". M. habe sich nicht selbst bereichert. Aus dem Umfeld der Mitarbeiterin ist von "massivem Erfolgsdruck" und "völliger Überforderung" beim Versuch die Rede, Merzig als Kulturstadt zu etablieren.

Vielleicht tat sich der OB deshalb mit den arbeitsrechtlichen Konsequenzen so schwer. Zunächst suspendierte er seine Amtschefin, dann schloss er einen Auflösungsvertrag - zum Jahresende. Nun fragt vor allem die CDU bohrend nach, warum Lauer angesichts der Umstände die in einem solchen Fall übliche fristlose Kündigung vermieden hat. Ein Ende des Skandals ist nicht absehbar.

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