Irresein ist menschlich

TRIER. Einen üppigen Brocken hat sich der von Alexander Etzel-Ragusa geleitete Jugendclub des Trierer Theaters vorgenommen: "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats" von Peter Weiss.

Ein prächtiges Stück Theater: Peter Weiss‘ erfolgreichstes Drama mit einem Titel von barocker Länge quillt über von Komik, Drastik, Grand Guignol. Es bietet, getreu der Entstehungszeit aus den frühen 1960ern, viel Gesellschaftshäme und Sozialkritik, die symbolhaft hintersinnig vorgetragen wird von einer Gemeinschaft Geisteskranker. Unter ihnen hat - das ist Fakt - der Marquis de Sade (1740-1814) seine letzten dreizehn lasterhaften Jahre verbracht; mit ihnen hat er zahlreiche Aufführungen auf die Bühne gebracht, an denen sich das (normale?) Publikum von außerhalb gern delektierte. Regisseur Alexander Etzel-Ragusa macht einen an witzigen Einfällen prallvollen Jahrmarktsbilderbogen aus der Vorlage. Weitgehend textgetreu, musste er nur besetzungsmäßig Zugeständnisse machen. Da der Jugendclub seit jeher über mehr weibliches als männliches Potential verfügt, wurden aus einigen Männern Frauen, was der absurden Komik des Geschehens nur förderlich ist. So wird die Anstalt statt von einem Direktor von frommen Ordensschwestern geleitet, die dem revolutionären und bisweilen ebenso pikant-frivolen Geschehen mit hilflosem Händefalten gegenüberstehen. Überhaupt hat man - schon seit einigen Jugendclub-Stücken - den Eindruck, dass Etzel-Ragusa in diesem Umfeld die Grenzen des Theaters so richtig nach Lust und Laune austestet. Einige der recht provozierenden Regie-Einfälle sind bestimmt nicht nach jedermanns Geschmack, würden aber auch so mancher Inszenierung im großen Haus willkommenen Diskussionsstoff liefern und vor allem jugendliche Kulturverweigerer davon überzeugen, dass Theater nicht nur zum Einschlafen gut ist. Mit traumwandlerischer Sicherheit folgen die Laienakteure ihrem Regisseur. Es wetterleuchtet geradezu von Talent in dieser Truppe, nicht nur in den Haupt-, sondern auch in manchen Nebenrollen. Der Spaß und das Engagement der Spieler(innen) ist in jeder Szene greifbar. Wieder einmal ist Etzel-Ragusa das Kunststück gelungen, Amateure, die von Carola Vollath liebevoll kostümiert wurden, zu Leistungen von beachtlichem Niveau zu animieren. Im Vergleich dazu sehen ziemlich viele Daily-Soap-Stern- chen aus dem inflationären Fernseheinheitsbrei ziemlich alt aus. Die nächsten Aufführungen: 28. 4.; 2., 6., 12., 16., 19., 20. u. 21. 5.; Karten: 0651/718-1818.

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