Jazz-Komik ohne Unterlass

TRIER. Zerzaust, mit hängenden Schultern und breitem Grinsen: Der Jazz-Komiker Helge Schneider tritt mit neuem Programm ("Verzeih mir, Baby! Ich konnte nichts dafür") in der Europahalle auf und verlangt unberechenbar nach einer Tasse Tee. Sein Gefühl für Zerstreuung und Akribie ist großartig und außerordentlich amüsant.

Improvisation, so definiert sie das Lexikon, bedeutet unvorbereitetes Handeln. In ihrem freien Lauf kann also nichts verkehrt sein, setzt sie doch voraus, dass man es in seinem Beruf zu einer Meisterschaft gebracht hat. Die gestattet es, die formalen Fesseln abzulegen - und kummerlos zu spielen. Helge Schneider kann also keine Fehler machen. Er ist ein großer Jazzer und ein Komiker obendrein. Seine Auftritte zeigen deshalb Jazz-Komik ohne Unterlass - musikalisch und schauspielerisch zugleich. Seine Programme sind Paradestücke des Stegreiftheaters, die aktuelle Show "Verzeih mir, Baby! (Ich konnte nichts dafür)" liefert hierzu den besten Beweis. Mit breitem Grinsen, Schiebermütze über den zerzausten Haaren, in lilafarbenem Gehrock und mit riesigen Gläsern auf der Nase hockt er am Klavier. Er schlurft mit hängenden Schultern über die Bühne. Hier wird der Halbsatz zum Standard und die Verzögerung zur Taktik. Helge Schneider stimmt einen seiner alten Songs an. Das Publikum in der ausverkauften Europahalle kreischt vor Begeisterung - etwa beim "Erzgebirgemännchen-Schnitzer-Blues" oder beim "Möhrchen-Lied". Aber die Nummern werden nicht einfach herunter gespielt und schon gar nicht, falls Zuschauer ein bestimmtes Lied lauthals fordern. Helge Schneider verfremdet das Material, die Sprache, ordnet die Höhepunkte neu und bricht mitten in der Strophe ab. Dann verlangt er einen Tee von Teekoch Bodo, zertrümmert das Porzellan und erzählt, dass Kinder heute im "saturierten Einerlei" aufwachsen. Die Einzelteile dieser Komik purzeln wie Bauklötze durch den Auftritt. Mal werden sie zu einigermaßen ordentlichen Texten zusammengesetzt: "Von Pommes kriegt man Pickel, ist mir egal, Pommes ist kein Name". Doch Helge Schneider ist nicht berechenbar. Gelegentlich so spontan, dass er sich selbst überrumpelt und über seine überraschenden Ideen lachen muss. Nach der Tournee "Hefte raus - Klassenarbeit" hat er sich von seinen alten Gefährten Buddy Casino und Peter Thoms verabschiedet. Nun begleiten ihn Pete York, der früher bei der "Spencer Davis Group" trommelte, und Jimmy Wood, der bereits bei Duke Ellington Kontrabass zupfte. Als sie in Trier musizieren und mit ihren Soli die Zuhörer mitreißen, als Helge Schneider dazu vom Klavier zur Orgel, von der Akustik- zur E-Gitarre und zur Holzrassel greift, macht das richtig Laune. Er besitzt Talent für Zerstreuung und Akribie gleichermaßen. Dies sind die Momente, in denen Helge Schneider auf Witz verzichtet und ausschließlich improvisiert.

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