Je haltbarer die Form, umso geringer der Komfort

WITTLICH. Waschtag im Wittlicher Georg-Meistermann-Museum. Dort präsentiert Christoph Platz jede Menge Feinwäsche.

 Ironische Zurschaustellung alltäglicher Banalitäten: T-Shirt-Skulptur von Christoph Platz.Foto: Museum

Ironische Zurschaustellung alltäglicher Banalitäten: T-Shirt-Skulptur von Christoph Platz.Foto: Museum

Der Mensch verdankt seinen Hang zum prächtigen Kleid nicht seinem kulturellen Aufstieg, sondern schlicht der Stammesgeschichte. Zwar haben uns Adam und Eva glauben gemacht, dass der Mensch sich aus purer Scham verhüllt. Die bunte Vogelwelt indes demon-striert ganz unbekümmert, was inzwischen wissenschaftlich als gesichert gilt. Nicht Tugendhaftigkeit, sondern Selbstdarstellung bestimmt seit ewigen Zeiten das Outfit von Mensch und Tier. Wobei der zeitgenössische Markenkult nichts anderes ist als die phantasielose Verkürzung des überkommenen Prachtgewands auf die simple Darstellung der eigenen Kaufkraft. Nicht Instinkt und Geschmack empfehlen neuerdings den Träger, sondern das entsprechende Etikett an Kleid und Anzug. Es genügt an sich, das Etikett zu tragen. Mit der Tatsache, dass erst Kleider Leute machen, beschäftigt sich auch Christoph Platz. Jede Menge menschlicher Wäsche wäscht der in Bochum lebende Bildhauer, der vorzugsweise in Holz arbeitet, derzeit im Wittlicher Georg-Meistermann-Museum. Herausgekommen ist dabei eine Schau, die auf den ersten Blick augenfällig macht, wie grotesk der eitle Wahn vom Kleid als besserem Ich ist. In monumentaler Pose - sogar golden überhöht - kommen die bunten Badeanzüge, Unterhemden und T-Shirts des 1964 geborenen Künstlers daher. Auf gelbem Sockel strahlt, was die delikatesten der Körperteile verhüllt. Reine Baumwolle, kochfest signalisieren die blütenweißen Herrenslips.Der Lust des Auges folgt hölzerne Ernüchterung

Doch Vorsicht: Wer weißer waschen will, erlebt sein blaues Wunder. Die männliche "underwear" ist aus Holz, wahlweise aus Gips (ohne Sockel). Wie‘s drinnen aussehe, gehe niemand etwas an, behauptet die Operette. Bei Christoph Platz geht das jeden was an, sonst versteht man seine Arbeiten nicht. Die machen nämlich erst durch ihren Widerspruch zwischen innen und außen ihren Sinn. Es ist wie in der Werbung. Die Illusion vom leichten, lockenden Leben, von der Freizeitgesellschaft im legeren Shirt, den "sexy eyes" auf raffinierten weiblichen Dessous wollen die farbigen Fassungen der Holzkleider ihren Betrachtern verkaufen. Doch was der bunte äußere Schein verspricht, hält das hölzerne Innere nicht. Ein solider Hohlkörper tut sich da auf, an dem - wie bei den alten hohlen Wandheiligen - die Spuren handfester holzbildhauerischer Arbeit sichtbar sind. Der Spaß kehrt sich ins Gegenteil. Der Lust des Auges folgt hölzerne Ernüchterung. Am besten wird das bei den Büstenhaltern deutlich. Was locken soll, hat, in Holz geformt, eher die Ausstrahlung einer Brustwehr. Also alles Etikettenschwindel? Weniger bei den Etiketten als bei ihren auf Außenwirkung bedachten menschlichen Trägern - so die Bot- schaft dieser Schau. Bleibt nachzutragen, dass Platz‘ Skulpturen auch ein reizvolles ästhetisches Erlebnis sind. Als Installation hat er sie zum Teil dem Raum eingefügt. Nicht immer befriedigend. Das liegt an den intimen Kabinetten des Museums, die für Einzelpräsentationen und sparsame Hängungen besser geeignet sind als für raumsprengende künstlerische Aufmärsche. Noch ein netter Gag: Im Sinne einer Schaufenstergalerie bespielt Christoph Platz mit seiner Holzwäsche auch die angrenzenden Textilhäuser. Und über die Straße hat er seine Kunsthemden auch noch geflaggt. Der Kaufstadt Wittlich mag‘s nützen - und der Kunst hof- fentlich auch. Dass sie sich bei solchen Aktionen mit der Rolle des Dekorativen zufrieden geben muss, mag sie verschmerzen. Jeder macht schließlich seine Hausaufgaben. Bis 30. Juli, di.-fr. 10 bis 12 Uhr u. 14 bis 17 Uhr, sa. u. so. 14 bis 17 Uhr, Tel.: 06571/14660.

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