Kálmán, Crémant und Kaviar

LOSHEIM. Seit sieben Jahren gibt es im Sommer einen Abend "Klassik am See" im Strandbad Losheim - eine der wenigen deutschen Open-air-Veranstaltungen, bei denen die Klänge in der Tat zur Tafelmusik werden.

 Für Romantiker und Gourmets: "Klassik am See".Foto: Rolf Ruppenthal

Für Romantiker und Gourmets: "Klassik am See".Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Ruppenthal (rup)

Ein Flüchtlingstreck scheint da vorm Holztor versammelt: Bollerwagen vollgepackt mit Hausrat und Proviant; Kühltaschen und Klappstühle und Decken versperren den Durchgang und lassen eine Massenpanik gar nicht mal so abwegig erscheinen. Wenn das Tor geöffnet wird und die Meute losschießt... Wie oft liest man schließlich von zertrampelten Menschen und zerquetschten Gliedmaßen. Aber es geht dann doch ziemlich gesittet zu, als die Tore aufschwingen und Bewegung in die Meute kommt. Schnell sind die besten Plätze auf der Wiese im Strandbad Losheim okkupiert, werden Decken ausgebreitet, Stühle aufgestellt, Klapptische mit edlem Damast eingedeckt, Kristallgläser, Weinkühler, Kerzenleuchter, Champagnerflaschen und feines Geschirr aus den Tiefen der Picknickkörbe geholt. Lachs und Paté de foie gras liegen einladend auf Silbernem. Italienische Salami wetteifert mit Parma-Schinken um Aufmerksamkeit. Sektkorken fliegen durch den Abendhimmel, und Weinflaschen werden mit diesem unwahrscheinlich verführerischen Plopp geöffnet, dem zuzuhören fast so schön ist wie den ersten Schluck zu kosten. Der Neuling sieht‘s mit offenem Mund und verstaut verschämt die Plastikdosen mit Hühnchen, Käse und Brot, wann immer er einen Bissen herausgeklaubt hat. Das Ereignis heißt "Klassik am See", der Ort ist das Strandbad Losheim, und der Ansager verkündet frohlockend, dass es seit Bestehen des Events der siebte Abend in Folge mit fanstastischem Wetter ist. Wie wahr: Alle sind froh, als gegen 20 Uhr endlich die Sonne hinter den Tannen versinkt. Kurz zuvor erst haben die Leute in den Stuhlreihen Platz genommen; die brauchten nicht um Plätze zu rangeln. Aber das ist natürlich nicht zünftig. Die Stimmung ist da unten bestimmt nicht halb so gut wie hier oben, wo die Saarland-Saturnalien ihren er-sten Höhepunkt erreichen, als der Klassik-Teil abgehakt ist mit Donizetti, Wagner und Strawinsky. Natürlich kriegen die Sängerinnen Sen Guo, Swetlana Afonia, die Tenöre Thomas Kießling und der Schwindel erregende Höhen erklimmende Vincent Ordonneau sowie der Bariton Joo Il Choi ihren freundlichen Applaus für beachtliche Stimmakrobatik. Aber außer Rand und Band gerät das Publikum erst im zweiten Teil bei den walzertaumeligen Süffigkeiten von Lehár und Ziehrer, auf die gruppenweise mit Schunkeln reagiert wird. Trunken von Operettenseligkeit einerseits und sachte steigendem Promillespiegel andererseits klatscht das Publikum bei den Kálmán-Ohrwürmen rhyhtmisch mit, verliert jedoch beim Accelerando des Csárdás schnell den Anschluss und greift lieber wieder zu Sektkelchen und Rotweingläsern. Was, musikalisch gesehen, auch sehr in Ordnung ist. Dorian Wilson leitet das Radiosinfonie-Orchester Saarbrücken und beweist im Laufe des vierstündigen Abends einmal mehr die Vielseitigkeit eines Rundfunk-Klangkörpers, der Gershwin ebenso souverän bewältigt wie Wagner oder Duke Ellington. Bei Bernsteins "West Side Story"-Suite kriegen hunderte von Kerzen und Teelichtern Konkurrenz von tausenden sprühender Wunderkerzen, und die Nachbarin sagt ergriffen: "Schöner als Weihnachten!" Ausgelassen wird‘s dann wieder beim Rausschmeißer, Paul Linckes "Berliner Luft". Da pfeift das Publikum mit, als sei‘s der "Sportpalastwalzer" von Siegfried Translateur. Doch hier ist man ja weit weg von der Hauptstadt, deshalb macht das nichts. Nächstes Jahr, Ehrensache, sind wir wieder dabei. Aber nicht mehr mit Plastikdosen. Wir nehmen unsere Couch mit. Und den Klapptisch aus Carrara-Marmor. Für Kaviar, Crémant und Kandelaber. Schließlich will man ja nicht unangenehm auffallen.

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