KOLUMNE

Donnerwetter, da waren Sie aber mal schnell. 15 Jahre hat der olle Willy Brandt nach Ende der Kanzlerschaft gebraucht, um seine Memoiren zu schreiben, bei Helmut Kohl waren's immerhin sechs. Bismarck hat mit der Veröffentlichung seiner Erinnerungen bis nach dem Tod gewartet - ich gebe zu, das wäre ein bisschen viel verlangt in der modernen Mediengesellschaft.

Aber bei Ihnen reichten ein paar Monate. Ein Schelm, wer vermutet, die Länge der Bedenkzeit könne mit der Qualität der Kanzlerschaft zu tun haben. Oder haben Ihnen Ihre Ratgeber vielleicht gesagt, nach fünf Jahren würde sich ohnehin niemand mehr an Sie erinnern? Oder brauchte der Verlag dringend ein umsatzträchtiges Verkaufsobjekt fürs Weihnachtsgeschäft? Fragen über Fragen. Aber die beantworten Sie nicht, weder in Ihren Fernseh-Werbespots für die Bildzeitung noch in den allüberall platzierten Vorab-Interviews. Apropos Bild: Deren Aufkommen an abgedruckten Buchstaben hat sich in den letzten Tagen glatt vervielfacht, weil dort seitenweise in Kleinst-Lettern Ihr Buch dokumentiert wurde. Die gleiche Textmenge hätte früher bei Bild ein ganzes Jahr lang gereicht, um Ihnen jeden Tag achtkantig in den Hintern zu treten. Aber mit Bild und Spiegel sind Sie ja inzwischen im Reinen. Es waren die bösen SPD-Linken, die Sie eigentlich zum politischen Selbstmord getrieben haben. Das hat was: Genau die gleiche Legende hat Helmut Schmidt seinerzeit gestrickt, nur dass einer der üblen Oberlinken, die ihn damals ins Grab gebracht haben sollen, Gerhard Schröder hieß. Komisch. Da interessiert sich jahrelang kein Schwein für die Handvoll Linker in der SPD, aber kaum schmeißt ein Kanzler das Handtuch, werden sie als Hinterhalt-Dolchstößer aus der Kiste geholt. War es nicht eher so, dass Ihre Politik beim deutschen Volk maximal noch 20 Prozent Zustimmung hatte und Sie selbst im Wahlkampf alle altlinken Positionen bezogen, die man beziehen konnte, um wenigstens noch auf 35 Prozent zu kommen? Was soll's, Tempi passati. Da sezieren Sie doch lieber den Oskar und treten nebenbei Ihrer Nachfolgerin schlagzeilenträchtig ans Bein. In Sachen Show waren Sie schon immer gut, in Sachen Stil weniger. Helmut Schmidt hat es in den 80ern mit eiserner Disziplin geschafft, sich zumindest ein paar Jahre lang Bemerkungen über seinen Nachfolger zu verkneifen. Und er hätte angesichts des damaligen Qualitätsgefälles im Kanzleramt weiß Gott bessere Gründe gehabt als Sie. Aber Helmut Schmidt war eh ein kluger Mann. Memoiren, so hat er einst gesagt, seien "eine Verleitung, die eigene Nase schöner zu malen als sie ist". Eh ich's vergesse: Schöne Grüße an Ihren Freund Vladimir, den lupenreinen Demokraten. Vielleicht können Sie ihm ja Tipps geben, wie man es publizistisch besser verkauft, wenn man kritische Journalisten einschüchtert, Pfründe an Apparatschiks verteilt oder Tschetschenen massakrieren lässt. Dieter Lintz

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