KOLUMNE

Gratuliere! Jahrelang war das Füllen des politischen Schlagzeilenlochs in Saure-Gurken-Zeiten das Privileg alter Männer von den ganz hinteren Bänken. Einfach an Fastnacht, Weihnachten oder in den Sommerferien einen wirren Vorschlag in die Runde werfen - schon geht die Post ab von Bild bis Tagesschau.

Warum soll da nicht mal eine junge Frau aus Rheinland-Pfalz den Rahm abschöpfen, mögen Sie sich gedacht haben, als Sie in Ihrer Eigenschaft als Drogenbeauftragte der Bundesregierung forderten, das Rauchen im Auto zu verbieten. Das Kalkül ist ja dann auch prächtig aufgegangen. Nur bei mir, das muss ich Ihnen ehrlich sagen, ging der Schuss nach hinten los. Wissen Sie, ich bin Nichtraucher von Geburt an. Aber seit ein paar Wochen denke ich ernsthaft über die Frage nach, ob ich nicht mit dem Qualmen anfangen soll. Das hat mit meiner - offenbar ebenfalls angeborenen - Neigung zu tun, mich an die Seite verfolgter Minderheiten zu stellen. Zum ersten Mal kam mir dieser Impuls, als ich vor ein paar Tagen einen SPD-Europaabgeordneten sah, der mit kreischender Stimme und starrem Blick in die Kameras geiferte: "Rauchen muss endlich anomal werden." Also: "anomal" waren für mich bisher Leute, die Kindersex-Bilder sammeln. Oder Weltrekorde im "Würmer-durch-die-Nase-schniefen" aufstellen. Ehrlich, Frau Bätzing, mich beschleicht so ein bisschen das Gefühl, dass Sie und Ihre Politiker-Kollegen, weil sie die wirklich ernsthaften Probleme dieser Welt nicht mal ansatzweise gelöst kriegen, sich irgend einen Ersatz-Kriegsschauplatz suchen. Wenn wir an der Klima-Katastrophe oder dem Gift in den Lebensmitteln irgendwann eingehen, dann wenigstens rauchfrei. Klar: Wo Raucher und Nichtraucher zwangsweise zusammenkommen, muss der Raucher zurückstecken. Nötigenfalls auch per gesetzlicher Regelung. Aber seit wann gehört dazu das private Auto? Wann ist die Wohnung dran? Kommt die hermetisch abgeriegelte Smoke-Box im Keller? Was sagen Sie? Kinderschutz? Logisch. Kein bei Trost befindliches Elternteil wird seinen Nachwuchs zuqualmen. Aber es wird ihn auch nicht mit Cola, Chips, Reality-Shows und Computerspielen vollstopfen. Alles ungesund und dumm. Trotzdem passiert das jeden Tag. Wollen wir das alles mit gesetzlichen Verboten regeln? Keine Angst, Frau Bätzing, dazu wird's nicht kommen. Schon weil Cola-Trinker, Fernsehglotzer und Computernutzer zu viele sind, als dass sie sich für eine Stigmatisierung eignen. Da sehe ich eher andere Gruppen gefährdet. Zum Beispiel Dicke wie mich. Neulich hatte ich einen Alptraum: Da sah ich einen geifernden Europabgeordneten, der sein mageres Hobby-Triathleten-Gesicht in die Kameras hielt und schrie: "Übergewicht muss endlich anomal werden." Schweißgebadet erwachend, musste ich zur Beruhigung erst mal ein paar Rippen Schokolade zu mir nehmen. Dieter Lintz

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