KOLUMNE

Entschuldigung. Ich sag's einfach mal so ohne Umschweife: Ich muss Ihnen Abbitte leisten. Ich war nämlich auch einer von denen, die gedacht haben, ihr boxerischer One-Night-Stand gegen Virgil Hill könnte nur in einer Schlappe enden.

Und, ehrlich gesagt, als Sie da in den ersten drei Runden stocksteif im Ring herumstanden und Ihren Bauch als Trommel-Fell für die Schläge Ihres Gegners hinhielten, hätte ich keinen Kamillenteebeutel auf Ihren Sieg gesetzt, nicht einmal gegen eine Kiste Bitburger Stubbis. Und die unübersehbare Alters-Pläte auf Ihrem Hinterkopf schien mir wie ein Menetekel, die Fährnisse und Malessen der fortgeschrittenen Lebensphasen nicht hochmütig zu ignorieren. Tja, so kann man daneben liegen. Aber ich geb's wenigstens zu, anders als die vielen Kollegen, die nur darauf gewartet haben, Ihnen noch mal kräftig in den Ringstaub nachzuspucken und die sich jetzt nicht einkriegen können vor Begeisterung über den neuen Messias und Superhelden. Plötzlich sind Sie der Aufschwung, das Frühlings-Märchen, ja geradezu eine Art Knut der Zweite, der Gute-Laune-Bär für Männer. Sind wir nicht alle ein bisschen Henry? Wobei: Ein bisschen Held sind Sie tatsächlich schon. Nicht, weil Sie das Senioren-Duell gewonnen haben. Sondern wie Sie es gewonnen haben - mit dem Kopf. Klugheit, Zurückhaltung, Geduld, Disziplin: Das hat gereicht gegen einen Gegner, der doppelt so oft geschlagen hat und dreimal so viel gelaufen ist wie Sie. Ist das kein ermutigendes Zeichen in Zeiten, da immer mehr Leute glauben, eine dicke Lippe, martialisches Auftreten und gestählte Körperkraft seien das, worauf es im Leben ankommt? Nix da, sagt Henry Maske: Intelligenz ist das, worauf es ankommt. Bösartige Leute könnten darin übrigens auch den Grund sehen, warum es bei Axel Schulz anders ausgegangen ist. Oder warum sich Stefan Raab von einer halb so großen und halb so schweren Frau vermöbeln lassen musste. Und von wegen "Rummelboxen", nur weil es um keinen Titel ging: Rummel, das ist doch eher, wenn jeder mittelprächtige Kirmensboxer nach zwei Aufbaufights unter feierlich-schrägem Abfiedeln der Nationalhymne um irgendeinen der 250 Welt-, Interkonti- oder Südostmitteleuropameistertitel kämpfen darf, die es bei den zehn konkurrierenden Verbänden gibt. Dieter Lintz

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