KOLUMNE

Ich weiß ja nicht, ob alle Entscheidungen, die Sie in den letzten Jahren so getroffen haben, immer klug waren. Aber die, erst mal nicht nach Deutschland zurückzukommen, war es auf jeden Fall. Sie können sich nicht vorstellen, was hier los war, seit Ihre Entführung bekannt wurde.

Die eine Hälfte der Leute weinte sich nachts in den Schlaf, zündete Kerzen an und veranstaltete Lichterketten, so als stehe der Weltfrieden auf dem Spiel. Es muss ihre Entführer mächtig, mächtig beeindruckt haben. Die andere Hälfte der Leute grummelte vor sich hin, so in der Richtung: Die blöde Kuh ist doch selber schuld, was muss sie im dem Dschungel da auch alleine rumlaufen, kostet doch nur unsere Steuergelder. Deutschland war am Rand der Hysterie, so oder so. Sondersendungen, Brennpunkte, Balken-Schlagzeilen. Frau Merkel, unsere neue Kanzlerin, hat Ihnen - doch, wirklich - den Auftakt ihrer allerersten Regierungserklärung gewidmet, und bei der Wahl zum "Sportler des Jahres" wurde die Nachricht von Ihrer Freilassung mehr gefeiert als alle Sport-Stars zusammen. Komisch, werden Sie wahrscheinlich denken: Die anderen hundert Entführten im Irak haben hier zu Lande schon lange kein Schwein mehr interessiert, so wenig wie die allwöchentlichen 50 Toten bei irgendwelchen Selbstmord-Attentaten. Aber das sind ja auch keine Deutschen! Da rattert doch die ganze Medienmaschinerie so richtig los, wenn eine Landsfrau, zumal eine so gut aussehende, sich in der Gewalt potenzieller Kopfabschneider befindet. Ihre ganze Familiensippe, zu der Sie schon seit Jahren den Kontakt abgebrochen haben, war im Fernsehen plötzlich präsenter als Günter Jauch und Thomas Gottschalk zusammen. Experten, die sich alle dadurch auszeichneten, dass keiner einen Hauch von Ahnung hatte, was wirklich los war, ergingen sich in düsteren Spekulationen über die Involvierung Deutschlands in den internationalen Terrorismus und ihre fatalen Folgen. Jeder, der mit dem Finger auf dem Globus grob anzeigen konnte, wo der Irak liegt, sah sich zu Stellungnahmen bemüßigt. Und als die Sache vorbei war, klopfte man den Politikern geräuschvoll auf die Schulter. Dabei weiß bis heute keiner, ob Ihre Entführung ein terroristischer Akt war, ein Gangsterstück, ein politisch motiviertes Spektakel oder gar ein Versehen. Wahrscheinlich wissen Sie es selber auch nicht. Ehrlich: Mich freut, dass Sie mit offenbar heiler Haut aus der Sache herausgekommen sind. Aber bleiben Sie noch ein bisschen weg. Was Sie hier erwartet, könnte schlimmer werden als Ihr Aufenthalt bei den Entführern. Dieter Lintz

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort