Katzen und andere Glücksfälle im Leben

TRIER. "Angelika Milster gilt als experimentierfreudig und macht all denjenigen einen Strich durch die Rechnung, die sie in eine Schublade zwängen möchten", heißt es in einem Artikel über die Künstlerin. Mal nachfragen, ob es stimmt.

Im Rückblick betrachtet hört es sich immer an, als wär‘s ein Stück vom Film. Ein Telefongespräch mit einer Freundin, zufällig die Sekretärin vom Betriebsbüro des Theaters an der Wien, überredet Angelika Milster, die ein paar Tage in der österreichischen Hauptstadt entspannen will, zu einer "Audition" zu kommen. Es ist der letzte Tag der monatelangen Prozedur, und alle Rollen sind eigentlich schon besetzt. Angelika Milster sieht die Angelegenheit also eher sportlich als ehrgeizig, besorgt sich die Noten und singt - "in Shorts und T-Shirt", wie sie sich erinnert - den gestrengen Juroren vor.Und dann geraten die Begründer und Zerstörer von Bühnenkarrieren, die Schicksalsgötter der leeren verdunkelten Zuschauerräume, tatsächlich ins Grübeln. Die ist ja gar nicht schlecht. Die ist sogar gut. Genau genommen ist sie die bisher Beste, die für die Rolle der alten Katze Grizabella vorgesungen hat. Und so sprintet an diesem heißen Sommertag in Wien Angelika Milster mal eben an sämtlichen Konkurrentinnen in der Zielgeraden vorbei und ergattert sich eine Rolle nebst Song, der ihre Erkennungsmelodie werden soll: "Memory", dieser romantisch-melancholische Ohrwurm aus Andrew Lloyd Webbers Musical "Cats" und, nebenbei bemerkt, einzige Hit aus der Feder des britischen Komponisten. Und nach der Premiere am 24. September 1983 ist für die junge Schauspielerin nichts mehr, wie es war. Plötzlich ist sie in aller Augen und Ohren und in allen Medien. Man reißt sich um sie und ihren Song, den sie, wie sie im Gespräch mit dem TV erwähnt, bestimmt ein paar tausend Mal ("wenn nicht öfter") gesungen hat. Angelika Milster ist ein Star. Als wäre vor diesem 24. September nichts gewesen. Als hätte sie nicht Jahre lang in kleinsten, kleinen, größeren und richtig großen Rollen auf den kleinen, größeren und richtig großen Bühnen gestanden- in Berlin, Stuttgart, Zürich und Hamburg, wo sie aufgewachsen ist und im väterlichen Geschäft eine Ausbildung zur Friseurin gemacht hat. "Schauspielerei ist ja schön und gut, aber das Kind soll auch was Handfestes lernen." Der Job hat ihr bei den ersten, eher mager dotierten Engagements immerhin dabei geholfen, Miete zu zahlen und Brötchen zu kaufen. Waschen und Legen gab sie erst auf, als die Rollen anspruchsvoller wurden und ihr eine Kundin empfahl, doch mal ins Theater zu gehen. Da gebe es nämlich eine Schauspielerin, die sei ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Spätestens da wusste die Halbtagsfriseurin, dass sie das Zeug dazu hatte, beim Publikum einen Eindruck zu hinterlassen. Womit wir bei den Schubladen wären, in die sie sich partout nicht zwängen lassen will. In einer Marilyn-Monroe-Parodie war die zierliche Blondine nämlich so erfolgreich, dass man sie nur noch als deren Doppelgängerin besetzen wollte. Zur rechten Zeit holte Wolf Gremm sie zum Film, verschaffte ihr mit "Meine Sorgen möcht‘ ich haben" 1975 nicht nur ihre erste Leinwandrolle, sondern auch gleich den Ernst-Lubitsch-Preis. Danach entwich sie für zwei Jahre ans Düsseldorfer "Kommödchen", wo sie von Kay Lorentz "politisiert" wurde und von seiner Frau Lore die Kunst der präzis gesetzten Pointe lernte.Stets auf der Suche nach neuen Tätigkeitsfeldern

Auf der Suche nach neuen Tätigkeitsfeldern erarbeitete sie sich mit ihrem Mann, dem Dirigenten, Komponisten und Produzenten André Bauer, diverse Chanson-Programme, darunter einen Kurt-Weill-Abend. Mit der "Ufa-Revue" schaffte sie es 1992 sogar bis Washington. Die Palette ihrer Konzerte hat sie 2002 um eine neue Farbe erweitert: Als erste Sängerin entwickelte sie ein Repertoire von klassischen und geistlichen Liedern, die sie in ihrer Reihe "Kirchenkonzerte" vorträgt. Und in Trier nun wieder etwas Neues, zumindest, was die Dimensionen angeht: Die "Lysistrata", erklärt sie, sei ihre bislang umfangreichste Sprechrolle. Regisseur Hans Hollmann hatte sie gefragt, ob sie Lust hätte, die kämpferische Pazifi-stin zu spielen und kein Hehl daraus gemacht, dass der Abend mehr oder weniger auf ihren Schultern lasten würde. Aber die Milster wäre wohl nicht die Milster, wenn sie nicht auch diese Herausforderung angenommen hätte. Es stimmt also: Eine Schublade kommt für diese Frau nicht in Betracht. Da muss es schon eine ganze Kommode sein mit möglichst vielen davon. Aufführungen am 14. (Vorpremiere), 15., 16., 17. u. 18. Juli; Karten: 0651/718-1818.

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