Keine ist wie Kylie

Ein zweistündiger Video-Clip, live auf die Bühne gebracht: Pop-Star Kylie Minogue setzt bei der aktuellen Tour auf die Devise "viel hilft viel". In der ausverkauften Rockhal Esch sahen über 6000 Zuschauer eine Show-Produktion ganz großen Kalibers.

Esch/Alzette. Es gibt Momente, in denen Journalisten partout nichts mehr einfällt. Weil sie den Künstler nicht verstehen, oder weil sie einfach nur noch Platz für vier Silben oder drei Gedanken haben. Dann fällt im Zweifelsfall immer das Zauberwort. Frau oder Herr XY wird dann zum, ta-daaa: "Gesamtkunstwerk". Das bekommt auch Kylie Minogue immer wieder zu hören. Der TV hat sich die ausverkaufte Kylie-Show in der Rockhal Esch angeschaut - und dabei ein paar sehr unterschiedliche Rollen der Australierin entdeckt.Kylie, der blonde Engel: Sie schwebt in einem goldenen Rad auf die Bühne, im lila Abendkleid, das wie alle anderen Outfits exklusiv von Jean-Paul Gaultier entworfen wurde. Um sie herum: Tänzer, ganz in schwarz gekleidet, alle mit Helm. Erster Hit des Abends ist "Can't get you out of my Head".

Kylie, die Cheerleaderin: Die Australierin reist in die Staaten. US-Folklore zum austauschbaren "Heart Beat Rock", passend dazu glitzerndes Heben, Stemmen, Radschlagen, Yippie und Hurra, wie man es aus auch diesseits des Atlantiks aus jedem High-School-Film kennt.

Kylie, die Gay-Ikone: Seemann, ahoi! Zwischendurch brechen matrosige Zeiten an für die textilarm tanzende Bühnen-Entourage. Das birgt mehr als nur dezente homoerotische Anspielungen.

Kylie, der Vamp: Sie schmiegt sich an einen überdimensionalen silbernen Totenschädel und singt "Like a Drug". Kylie, die Kämpferin, die den Krebs hinter sich hat, hier als Vamp. Ob die Todes-Symbolik eine Anspielung ist? Wenn, dann eine vage. Es geht um reine, laute, bunte, schnelle Unterhaltung, irgendwo zwischen Las Vegas, Video-Clip und "Wetten, dass?!" Es ist keine Show zum Zwischen-den-Liedern-Denken.

Kylie, die kühle Disco-Queen: Ein Höhepunkt ist das hypnotische "Slow" mit Kylie als Königin der Tanzfläche, bei dem am Ende gar gerockt wird. Gitarrist Adrian ist zwar auch dabei praktisch nicht zu hören, dafür muss er immerhin nicht wie mancher Kollege halbnackt rumlaufen. Gegen Ende kommt auch das anfangs etwas reservierte Publikum auf Temperatur.

Kylie, die Nachbarin: Immer ist Betrieb auf der Bühne, über zwei Stunden lang, immer flackert und flimmert es. Mal geht es flugs an die Copacabana, samt gespielter Telenovela, die man freundlich gesinnt als gelungene Parodie auf was-auch-immer abnicken kann. Dann weiter nach Japan mit Kylie als Geisha, inmitten einer Horde Schwertkämpfer. Nur am Ende, da ist sie fast allein auf der Bühne. Dann parliert Kylie auf Französisch, zeigt ihr strahlendes Lachen und ist fast wieder die "Nachbarin" aus der australischen Seifenoper, in der Ende der 80er ihre Karriere begonnen hatte. Momente, in denen man fast glaubt, gleich auch Jason Donovan vor Augen und in der inneren Juke-Box zu haben. Aber so brutal ist das Gedächtnis dann doch nicht.

Kylie, die 40-Jährige: Es ist gar nicht so lange her, dass man mit schwuler Ästhetik noch die Dorfältesten auf die Palme - pardon: Eiche - bringen konnte. Damals dachten die Jüngeren derweil, dass mit 40 alles vorbei sei. Spätestens seit "Sex and the City" weiß man, dass das Leben erst danach anfängt. Dass alles zuvor nur jugendliches Geplänkel ist, eingesperrt im Wartezimmer der Jahrzehnte. Dafür steht auch Kylie, gerade 40 Jahre alt geworden: für die Jugend und für die Grande Dame, für das Brave wie auch für die - immer milde dosierte - Provokation. Für eine Frau, die sich nicht in vier Silben packen lässt.

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