Kindheit zwischen den Fronten

Man fragt sich manchmal: "Was wird eigentlich aus den Kindern und Jugendlichen, die aus Kriegsgebieten nach Deutschland fliehen? Haben sie eine Chance auf ein normales Leben?" Tijan Sila hat in seinem Debüt-Roman "Tierchen unlimited" vermutlich seine eigenen Kriegs-Erlebnisse verarbeitet. Er selbst kam 1981 in Sarajevo zur Welt und emigrierte 1994 mit seiner Familie nach Deutschland.

Kindheit zwischen den Fronten
Foto: (g_kultur

Sein Roman erzählt das Leben eines Jungen, der im Sarajevo der 1990er Jahre aufwächst. "Schon im Kindesalter hatte sich unter Jungs ein Männlichkeitskult entfaltet, bei dem es ums Zelebrieren und Nachweisen von Loyalität ging, ob nun durch Beistand bei Faustkämpfen oder gegenseitiges Erteilen von Nachhilfe." Gewalt ist an der Tagesordnung. Von oben fliegen die Bomben, und unten wird viel geschlagen, gedemütigt und gedroht. Die Jungs verlassen kaum ihre Wohnblocks. In ihrer freien Zeit zünden sie Müllberge an, stehlen Obst, spielen Ballerspiele am Computer oder führen Fehden gegen die Kinder der anderen Viertel. Zusammen mit seinen Eltern flieht der Junge nach Deutschland. Doch auch dort herrschen raue Sitten. Einige seiner neuen Freunde sind Neo-Nazis. Und nicht alle meinen es gut mit ihm. Und dann ist da Sarah. Ein Mädchen, härter drauf als alle Jungs, stärker als er und erotisch anziehend. Tijan Sila schreibt die Erlebnisse des Ich-Erzählers wie in Tagebuchform auf. Springt zeitlich häufig zwischen dem Leben in Bosnien und in Deutschland hin und her. Sein Schreibstil ist schlicht. Sein Protagonist, eigentlich ein Guter, verroht durch die Umstände. Er stiehlt, lügt und erlebt viel Gewalt. So, wie er in Bosnien gelernt hat, den Krieg zu überleben, so macht er in Deutschland weiter. Manche Szenen sollen lustig sein, doch wirklich komisch sind sie nicht. Rückblickend nennt der Ich-Erzähler die Emigration einen "Gehirnfurz". Seine Eltern hätten den Krieg besser aussitzen sollen. Er beendet sein zweites Studium mit einem guten Abschluss in Deutschland, aber die Gratulation der Familie bleibt aus. Viel zu sehr sind die Eltern mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Und was ihn noch fuchst: "Wären wir in Bosnien geblieben, hätte man mir als Kollegenkind bestimmt einen Doktortitel mit dazugehöriger Dozentur nachgeworfen." "Tierchen unlimited" ist die nüchterne Bilanz einer Emigration nach Deutschland, selbstironisch und locker erzählt, aber nicht leicht zu verdauen. Stefanie Glandien
Tierchen unlimited, Tijan Sila, Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, 18 Euro.

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