Klang-Artistik ohne Netz

TRIER. Ohrwürmer produzieren sie nicht. Statt dessen liefern die beiden Pianisten aus Luxemburg und dem Libanon vielfältige Klang-Artistik.

Da sitzen sie mit ausdrucksvoll-verkniffenen Gesichtern an den beiden Blüthner-Flügeln, schlagen Akkorde an, entfalten Melodik und manchmal auch planvoll-diffusen Krach. Nichts wird geglättet, gerundet, schöngespielt. Franceso Schlimé (Luxemburg) und Rami Khalifé (Libanon) musizieren ihren Stil aus. Zwei blutjunge Pianisten, denen der Ausdruck am allerwichtigsten ist. Zwei moderne Romantiker. Ihre Klänge holen sie aus dem 19. Jahrhundert und aus der Folklore, kaum aus der Jazz-Harmonik. Sie verzichten auf die rhythmischen Krücken, die Improvisation leichter und das Hören einfacher machen. Sie versenken sich in die Welt der Klänge, ohne Seitenblicke und mit kalkuliertem Risiko. Zwei Artisten in der musikalischen Zirkuskuppel, spielerisch, manchmal verspielt, keinesfalls ratlos und immer ohne Netz. Sie drücken die Tasten, reißen Klaviersaiten mit den Fingern an, klopfen auf den Korpus der Flügel, als wären sie Enkel von John Cage, der vor 50 Jahren das präparierte Piano erfand. Und frei schwebend entwickeln sie eine Vielzahl von Assoziationen. Einmal klingt Beethovens "Mondschein-Sonate" an, ein andermal improvisieren sie über einer festen Harmoniefolge eine brillante zweistimmige Invention. Dann produzieren sie feinsinnige Trillerketten, als wäre Chopin in die Dritte Welt gereist. Das freilich sind Reminiszenzen und keine Kopien. Schlimé und Khalifé setzen aufs Original. Selbstverständlich lassen sich mit wachsender Erfahrung musikalische Gestalten noch bündiger formulieren und Leerläufe vermeiden. Vielleicht sind auch noch intensivere Dialoge zwischen beiden Flügeln möglich. Aber an Originalität und Ausdruckwillen sind Schlimé und Khalifé so schnell nicht zu übertreffen. Gefällig musizieren können sie auch. Nach den ersten großen Improvisationsblöcken kommen die Zugaben. Die sind geraffter im Rhythmus prägnanter in der Melodik, sogar pianistisch brillanter, sicherlich besucherfreundlicher - freilich auch weniger originell. Da wippte beim zahlenmäßig schmächtigen Publikum auch der eine oder andere Fuß mit.

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