Kraut für die Welt

In jedem Monat präsentiert TV-Reporter Andreas Feichtner seine persönlichen Konzert-Tipps in der Rock-Kolumne.

Trier. (AF) "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein", sangen Tocotronic einst und hatten Recht. Ist ja auch das Beste am Jungsein: den einen gemeinsamen Nenner zu haben. Es müssen zur Not nur die gleichen Schuhe sein, um innerhalb der Gruppe alle zu mögen. Selbst die Idioten. Ja, auch die Vollspacken. Ohne angeben zu wollen: Ich hatte schon vor Tocotronic meine eigene Jugendbewegung, in den frühen 90ern. Die Krautrock-Subkultur, Treibhaus Trier, ein zugegeben schnell verdorrtes Pflänzlein. Mein Herz pumpte für deutsche Bands aus den frühen 70ern mit gaaaanz laaaangen Stücken. Als alles noch besser war und ich noch nicht geboren: Amon Düül II, Can, Guru Guru, Tangerine Dream. Der Oberbegriff Krautrock ist zwar so bescheuert wie nichtssagend. Aber er passte irgendwie. Sind wir nicht alle ein bisschen düül? Gut, die Kraut-Crew war klein. Eine Ein-Mann-Bewegung. Mit mir als Gruppenleiter und einziges Mitglied. Alle Versuche, die Klassenkameraden für den Anachronismus-Rock anzufixen und so vom lebensmüden Grunge zu retten, mündeten im Nirvana. "Smells like teen spirit" ging wohl besser ins Ohr als 20-minütige Improvisationen mit schmuckem Titel wie "Phallus Dei". Die Erinnerung schießt ins Kraut: Ich stehe in München, lange ist's her, in einem riesigen Plattenladen und suche erwartungsfroh kompetente Beratung. Ich schmachte: "Wo finde ich denn was von Amon Düül?" - "Amon wer???" - "Amon Düül II" - "Ist das türkischer Ethno-Pop?" - "Kraut-Rock! Die kamen doch aus München!", missioniere ich: "Und die waren in England die bedeutendste ausländische Band. 1973 oder so. Ja, in England!" Der "Clawfinger"-Shirtträger jenseits des WOM-Tresens schaut mich mit traurigen Augen an, schüttelt den Kopf, trottet weg. Einer von uns muss bescheuert sein, keine Frage. Ich einige mich auf unentschieden. Nun ist Clawfinger vergessen, der Kraut-Rock aber zurück: Gleich vier Bands spielen im Juli in der Region. Auch wenn die Jugend wieder mal verhindert sein wird, befürchte ich. Am 19. Juli gastieren mit Guru Guru (die legendäre Band um Schlagzeuger und Sänger Mani Neumeier) und Birth Control gleich zwei wichtige Vertreter des nicht gerade homogenen Genres in Trier. Auf der Sommerbühne im Exhaus. Birth Control hatten dabei mit "Gamma Ray" mal einen Hit und tendierten mehr in Richtung Hardrock. Einen Tag zuvor treten auf der Loreley beim insgesamt dreitägigen "Night of the Prog"-Festival unter anderem die deutsche Elektronik-Pioniere Tangerine Dream und Klaus Schulze auf. Umsonst und draußen: Am 5. Juli lockt das riesige Gratis-Open-Air R(h)einkultur in Bonn. Auch bei Rock um Knuedler (6. Juli, Luxemburg, mit Alan Parsons) ist der Eintritt frei. Tolles Ambiente: Die Abtei Neumünster in Luxemburg gehört zu den schönsten Veranstaltungsorten. Nach Sigur Ros und Air in den Vorjahren tritt nun am 16. Juli Goldfrapp auf.Merzig rockt: Das "Rock am Bach"-Festival findet zum ersten Mal im Zeltpalast Merzig statt (11./12. Juli mit Life of Agony, Lagwagon, H-Blockx, Sugarplum Fairy, Blackmail u.a.). Legenden im Ländchen: Wie in jedem Monat bietet Luxemburg einiges an Abwechslung - diesmal von Blondie (Atelier, 15. Juli) über Seal (19. Juli, Differdange, Open Air) bis ZZ Top (15. Juli, Differdange).

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