Kunst für die Hülle

Es ist fast ein eigenständiges Genre: das Gestalten eines Platten-Covers. Nun ist ein farbenprächtiger Bildband über "Art Record Covers" erschienen.

 Was will uns der Künstler damit sagen? Gerhard Richter hat, wie andere namhafte Künstlerkollegen, wie Salvador Dalí, Pablo Picasso oder Andy Warhol, ein Plattencover illustriert. Es handelt sich um das fünfte Studioalbum „Daydream Nation“ von Sonic Youth. Ein Bildband trägt die quadratischen Kunstwerke nun zusammen. Foto: Art Record Covers/Taschen verlag Köln

Was will uns der Künstler damit sagen? Gerhard Richter hat, wie andere namhafte Künstlerkollegen, wie Salvador Dalí, Pablo Picasso oder Andy Warhol, ein Plattencover illustriert. Es handelt sich um das fünfte Studioalbum „Daydream Nation“ von Sonic Youth. Ein Bildband trägt die quadratischen Kunstwerke nun zusammen. Foto: Art Record Covers/Taschen verlag Köln

Foto: (g_kultur

Als die CD ihren Siegeszug antrat, war auch Trauer angesagt - zumindest bei den Künstlern, die die Cover der Vinylscheiben als Leinwand für ihre Kunst nutzten. Auf den circa 14 mal 13 Zentimeter großen Plastikquadraten für Compact Discs lässt sich schließlich nicht viel Künstlerisches unterbringen. Inzwischen erlebt die Langspielplatte - und damit die größere Verpackung - eine Renaissance. Und auch die Hüllengestalter versuchen, an die Hoch- und Glanzzeit der Coverkunst vor vierzig bis fünfzig Jahren anzuknüpfen.
Was haben, sagen wir, Salvador Dalì, Georg Baselitz, Pablo Picasso, Jean Dubuffet Martin Kippenberger und Andreas Gursky gemeinsam? Zum einen: Ihre Werke hängen in den größten Museen der Welt. Zum anderen: Sie waren sich nicht zu schade, für so etwas Profanes wie eine Schallplattenverpackung zum Pinsel oder Stift zu greifen und die Hülle zu verzieren. Aber wieso eigentlich "zu schade"? Ganz im Gegenteil sahen viele Künstler des Großformats im kleinen als eine Herausforderung, nicht nur ihre eigenen Vorstellungen vom Inhalt zu visualisieren, sondern - im Idealfall - auch einen Zusammenhang zwischen Bild und Klang herzustellen.
Zugegeben: Das klappt nicht immer und war wohl auch gar nicht das erklärte Ziel, wie etwa Albert Oehlen, in den 1980er Jahren tonangebend in der rheinischen Kunstszene, zugab. Auf die Frage, ob er einen Zusammenhang zwischen der Musik von Bands wie "Gastr Del Sol" - ein Duo aus Chicago, das von 1993 bis 1998 bestand - oder "Child Abuse", einem New Yorker Rocktrio, und den eigenen Kreationen sieht, antwortet er lakonisch: "Keine Ahnung. Das sind meine Freunde, und ich liebe ihre Musik."
Die Kunst der Plattencover verfolge zunächst einmal ein Ziel, wie Francesco Spampinato in seiner Einleitung zum Kunst-/Musikband "Art Record Covers" erklärt: das "Streben nach neuen und alternativen Formen kultureller Produktion und Distribution". Und noch eine andere Absicht steckt hinter der Kunst auf den circa 31 mal 31 Zentimeter großen "Leinwänden": "Jeder kann sich seine Kunstsammlung aufbauen. (…) Aus dieser Perspektive kann das Herangehen der Künstler an Plattencover als Versuch interpretiert werden, den vom Kunstbetrieb auferlegten Einschränkungen zu widerstehen" (Spampinato).
Und in der Tat sind den Gestaltungsmöglichkeiten keinerlei Grenzen gesetzt. Fotografien, Collagen, geometrische Objekte, Cartoons, Farbenräusche und Schwarz-Weiß-Ökonomie, verfremdete Landschaftsbilder und ebensolche Stillleben, Horror und Humor, Witz und Wahnsinn, Ironie und Irrwitziges - alles ist möglich, alles wird gemacht. Die Cover sind denn auch weniger Hinweise auf das, was sie enthalten, sondern in erster Linie Hingucker, die einen Wert an sich darstellen: René Magrittes eingekerkerter Apfel trägt zwar den Titel "Abhörraum", aber das ist auch die einzige (akustische) Assoziation zum Album "Beck-Ola" der Rockgruppe "The Jeff Beck Group". Keith Haring gestaltet die Hülle zu Emanons "The Baby Beat Box" zwar mit einem mit Armen und Beinen versehenen Kofferradio und David Bowies "Without you" mit zwei Strichmännchen, die sich - zum letzten Mal? - umarmen, aber diese Bilder sind in erster Linie selbstreferenziell: Sie verweisen vor allem auf den Grafiker. Das Gleiche trifft auf Roy Liechtensteins Bebilderung von Lou Harrisons Piano Concerto (Interpret: Keith Jarrett) oder Gerhard Richters Fotobild "Kerze" zu, das die New Yorker No-Wave-/Noise-Rock-Band "Sonic Youth" für ihr Album "Daydream Nation" gewählt hat. Und was Andy Warhol bewogen haben mag, das "Sticky-Fingers"-Album der Rolling Stones mit einem (tatsächlich zu öffnenden) Reißverschluss an den Jeans zu versehen, kann man einerseits als zweideutig und andererseits als sinnfreien Gag interpretieren.
Am besten blättert man den voluminösen Band durch mit dem Gedanken, auf eine Entdeckungsreise zu eigenständiger und zur Musik weitgehend bezuglosen Kunst zu gehen. Und vielleicht entdeckt der eine oder andere Sammler von Vinylalben ja das eine oder andere Cover aus seiner eigenen Kollektion. Und kann sich darüber freuen, ein Kunstwerk im Haus zu haben, das es sogar zu Katalog-Ehren gebracht hat.
Francesco Spampinato, "Art Record Covers", hrsg. von Julius Wiedemann, Taschen Verlag Köln, 448 Seiten, 49,99 Euro.

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