„Kunst ist niemals keusch“

Eine gelungene Annäherung einer Enkelin an ihren Großvater: Diana Widmaier Picasso beschäftigt sich mit der Erotik in Pablo Picassos Werk. Es ist ausgesprochen selten, dass sich eine Enkelin um die Erotik ihres Großvaters kümmert.

Normalerweise gehört der Sex der Vorfahren zu den letzten Tabu-Themen, und es hat etwas Peinliches, daran zu rühren. Das gilt allerdings nicht, wenn der Großvater Pablo Picasso (1881-1973) heißt, einer der berühmtesten Maler aller Zeiten ist und dazu noch bekannt für seine leidenschaftlichen Verhältnisse, sein sinnenfrohes Leben bis ins hohe Alter.
Der Künstler selbst hat der Welt ja bereits den Beweis für seine Exaltiertheit geliefert. Trotzdem schafft Diana Widmaier Picasso in ihrem Buch "Die Kunst ist immer erotisch" den Balanceakt, Picassos Obsessionen ungeschminkt abzubilden, ohne dass es geschmacklos werden würde. Sie hat ein Bilderbuch seiner Sinnlichkeit zusammengestellt. Es zeigt die emotionale Bandbreite des kleinen Spaniers mit den schönen Augen: Picassos Erotik ist brutal, derb und voyeuristisch, aber auch groß, zärtlich und hingebungsvoll.
Die Enkelin und Kunsthistorikerin bringt die Triebfeder seines Lebens und Schaffens auf den Punkt: "Für Picasso ist Malen und Liebe derselbe Akt (...) Sein Leben ist eine besessene Suche nach der Frau, die er der Lust unterwerfen kann, dem jungfräulichen Blatt, das er schwärzen und zum Erröten bringen wird, der Materie, die er zähmen, formen und besiegen muss." Diana Widmaier Picasso ist die Tochter von María Concepción, genannt Maya, die 1935 geboren wurde. Diese wiederum stammt aus Picassos Beziehung mit der jungen Deutschen Marie-Thérèse Walter, die Picasso 1927 als 17-Jährige kennenlernte. Die Bekanntschaft dauerte einige Jahre, parallel war Picasso noch mit Olga Khoklowa verheiratet, hatte eine Liaison mit Dora Maar und war schließlich ab 1946 mit Françoise Gilot zusammen. Diese und andere Frauen begleiteten Picassos Leben - jede auf ihre Art - und finden sich in seiner Kunst wieder, Bilder und Skulpturen bezeugen leidenschaftliche Verbindungen.
Diana Widmaier Picasso vergleicht die Beziehungen ihres Großvaters Gott sei Dank nicht. Das neidvolle "Meine Großmutter hatte er aber lieber..." hätte den Blick auf Picassos erotisches Werk nur verdorben. Mit zu engen bürgerlichen Moralvorstellungen würde man Pablo Picasso und seinem Werk ohnehin nicht gerecht. Picasso hat selber zu Lebzeiten am besten ausgedrückt, was das Geheimnis seiner Kunst ist: "Kunst ist niemals keusch (...) Sie kann gar nicht keusch sein, man müsste sie für unschuldige Ignoranten verbieten, wer nicht hinreichend vorbereitet ist, dürfte nie mit ihr in Berührung kommen. Ja, die Kunst ist gefährlich. Wenn sie keusch ist, ist es keine Kunst." -agn/mic
Diana Widmaier Picasso: Picasso. Kunst ist immer erotisch. 114 Seiten, 122 Abb., Prestel Verlag, München, 49,95 Euro.

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