Lausbub mit flinken Fingern

MANDERSCHEID. Schon als Kind übte Martin Stadtfeld, wenn er in Manderscheid seine Ferien verbrachte, im Kurhaus am Flügel. Inzwischen ist er ein international renommierter Pianist. Aber auch ohne diesen Heimvorteil hätte Stadtfeld sein Publikum begeistert.

Es war zweifellos ein herausragendes Ereignis im Kulturleben der Stadt Manderscheid, der Klavierabend von Martin Stadtfeld im Kurhaus. Schon weit im Vorfeld des Abends war das Konzert ausverkauft. Alle wollten "das Landei" (Stadtfeld über Stadtfeld) live erleben, das sich seit einiger Zeit anschickt, die Welt zu erobern. Aus der tiefsten Provinz macht sich dieser Pianist, der äußerlich den Eindruck eines Lausbubs mit ungekämmten Haaren hinterlässt, auf, die Musikwelt zu erobern, und wird dabei mit Wettbewerbspreisen und höch-ster Anerkennung der Kritik überschüttet. Stadtfeld scheint ein Mensch der Gegensätze zu sein. Man mag ihm fast nicht zuschauen, wenn er auf dem eigentlich viel zu niedrig eingestellten Klavierhocker sitzt, der ein vernünftiges Spiel unmöglich erscheinen lässt und bei dem jeder Orthopäde schlimmstes für die Gesundheit des Pianisten prognostizieren wird. Technisch gesehen ist dieser Musiker schlichtweg brillant. Auch seine Programmzusammenstellung für Manderscheid, mit Werken von Johann Sebastian Bach und Frédéric Chopin, zeugt von den Polen, zwischen denen sich Stadtfeld bewegt. Es hatte etwas Faszinierendes, Stadtfeld in seine Interpretation von Chopins Polonaise-Fantaisie As-Dur und der vier Balladen (Opus 23, 38, 47 und 52) zu folgen. Bar jeder falsch verstandenen Sentimentalität interpretierte der gerade einmal 25-Jährige die Kompositionen, gab seinem Publikum energisch zu verstehen, was er in den reichlich vorhandenen Noten las. Virtuosität bestimmte das Geschehen, ohne jedoch, und das war das besondere an seinem Spiel, die Inhalte außer Acht zu lassen. Im ersten Teil hatte Stadtfeld dem Thomaskantor seine Reverenz erwiesen. Zentral standen hier die 15 Sinfonien, BWV 787-801, auch bekannt als dreistimmige Inventionen. Schon die Tatsache, dass Stadtfeld diesen Zyklus, der normalerweise als Unterrichtsmaterial dienen muss und für ein Konzertprogramm als unwürdig angesehen wird, in seinen Abend aufnahm, verdient Respekt. Mit viel Liebe zum Detail gestaltete er die einzelnen Sinfonien, zeigte auf, dass sie mehr sind als nur Übungsmaterial für den Anfänger.Rasanz ersetzt keine Inhalte

Anders verhielt es sich bei der Toccata in e-Moll, BWV 914 sowie dem Italienischen Konzert in F-Dur, BWV 971. Was Stadtfeld hier seinem Publikum anbot, war reine Technik, die, wenngleich von verblüffender Perfektion, für Bachsche Musik zu kurz greift. Auf der Strecke blieb jeglicher Affekt, von dem die barocke Musik lebt, die ihr Innerstes ausmacht. Bei allem Wohlwollen einem jungen Künstler gegenüber - hier war es des Gewagten zuviel. Rasante Tempi, waghalsige Läufe und akrobatische Fingersätze ersetzen keine musikalischen Inhalte. Freilich ist insbesondere das Italienische Konzert ein virtuoses Werk, bei dem die Fingerfertigkeit des Interpreten deutlich gefragt ist. Zuviel aber ist einfach zuviel. Stadtfeld hatte keine Probleme, sein Publikum zu begeistern, was der stehende Applaus am Ende des Konzertes deutlich belegte. Ein beeindruckender Abend, mit dem Manderscheid aufwarten konnte.

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