Lendenschurz, Leder und laue Isländer

ISTANBUL/WITTLICH. Der hoch gehandelte Max erreichte für Deutschland beim Eurovision Song Contest den achten Platz. Sieger wurde überraschend, aber verdient der ukrainische Song "Wild Dance" von Ruslana.

Das gibt es sonst nur bei Fußball-WM-Endspielen: Man verabredet sich zum gemeinsamen Fernsehen, zum Mitfiebern, zum konträren Meinungsaustausch. Grill an, den Fernseher in Richtung Balkon gedreht. Alle Jahre wieder. Es wird gelästert, es wird analysiert, und am Anfang dreht sich alles um Max. "Der landet mindestens unter den ersten Fünf", ist die einhellige Meinung, noch bevor der erste der 24 Titel überhaupt gelaufen ist. Die Raab‘sche Medienmaschinerie, gepaart mit der öffentlich-rechtlichen Quoten-Einpeitschung im Vorfeld zeigen ihre Wirkung. Kein Abend verging in der Vorwoche ohne den 22-jährigen Abiturienten aus Waldshut-Tiengen auf allen Kanälen. "So was Gutes hat Deutschland lange nicht mehr ins Rennen geschickt. Ein ganz Normaler, ohne Show, aber mit einer tollen Stimme", wird Max voreilig auf den Thron gehoben. Es geht los. Titel für Titel, knochentrocken beurteilt von ARD-Kommentator Peter Urban: "Was soll dieser Teenie-Fummel?" oder "Der fehlt einfach die Luft zum Singen" lautet die teils niederschmetternde Expertenmeinung. Manchmal glaubt man wirklich nicht an einen europäischen Song-Contest, sondern eher an ein Dorf-Kirmes-Casting. Siehe Österreich oder Island. Wie schlecht muss eigentlich derjenige oder diejenige gewesen sein, der/die in Island Zehnter bei der Vorauswahl wurde?Der Stoff, aus dem die Albträume sind

Aber nicht nur einige Lieder, auch einige modische Geschmacklosigkeiten sorgen für Gesprächsstoff. Gab es das Kleid der - wirklich gut singenden - albanischen Kandidatin auch in ihrer Größe? Ist den Rumänen der Stoff ausgegangen? Wo gibt es solche Sakkos, wie sie der Kroate Ivan Mikulic trug? Dagegen ist Max dezent. Schwarzer Pulli, Jeans, auf einem Barhocker sitzend, konzentriert; er trifft fast jeden Ton. Kein Schnickschnack wie beim Horn‘schen "Guildo hat euch lieb" oder Raabs "Wadde hadde dudde da". Max und sein "Can't wait until tonight" kommt beim Saalpublikum hervorragend an, auch weil er eine Strophe auf türkisch singt. Die Hoffnung macht sich breit, dass er in die Fußstapfen von Nicole treten könnte. Es folgen Balladen, Disco-Songs, Schmachtfetzen - und zwei Beiträge, die sich wohltuend von der Masse abheben: Als erstes die Reinkarnation von Dschingis Khan: Ruslana Lyschitschko und ihre Tänzer in Lederkluft und Lendenschurz, die irgendwie auch an Arnold Schwarzenegger in "Conan, der Barbar" erinnern. Die Tanz-Show zu "Wild Dance" ist klasse, da muss das Lied auch nicht mehr so toll sein. Sofort ist klar: Die Ukrainer hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Das tun auch die Gastgeber, die so überhaupt nicht türkisch daherkommen und das in Mitteleuropa grassierende Bild des anatolischen Bauern eindrucksvoll widerlegen: "Athena" und ihre Ska-Nummer "For real" ist musikalisch das Beste und Europäischste an diesem Abend und - wenn man den Grand Prix auf die politische Schiene hebt - die beste Werbung für einen türkischen EU-Beitritt. Gell, Herr Stoiber? Die Zeit der Abstimmung naht und wie alle Jahre wieder beginnt rund um den Grill die für den Eurovision Song Contest typische Diskussion: Muss man in der Landessprache singen (wie die unheilvollen Österreicher) oder soll man sich international geben und auf englisch trällern? Eine Antwort findet sich wie immer nicht. Die ersten Punktewertungen. Max fehlt irgendwie. Erste Ernüchterung und Enttäuschung. Dass die Türken, die aus Deutschland zwölf Punkte erhalten, und die Ukrainer weit vorne landen werden, war klar, der Serbe Zeljko Joksimovic hat musikalisch überzeugt und sich auch vom Einheitsbrei abgehoben. Warum der Grieche aber so weit vorne landet, erschließt sich nicht. Punkte über Punkte - für das Top-Quartett und zwischendurch auch mal für Max. Dass die Griechen zwölf Punkte an Zypern geben und die Zyprioten zwölf Punkte für die Griechen, ist so überraschend wie Sonne im Sommer, das aber der Balkan derart zusammenhält, verwundert. Alle Länder, gegen die das heutige Serbien-Montenegro in den vergangenen 14 Jahren Krieg führte, gaben dem Belgrader mindestens acht Punkte - der Grand Prix als Teil der Völkerverständigung. Aber im Gegenzug wurden auch Albanien und der schlechte Bosnier gepusht. Am Ende jubelt Ruslana aus dem Land von Soljanka, den Klitschkos und Tschernobyl. Joksimovic und der Grieche Sakis Rouvas folgen vor der Türkei und Zypern, Max wurde Achter - ein bisschen enttäuscht wirkte er schon. Aber so ist das auch bei Fußball-WM-Endspielen: Man hat eine Vorahnung, aber man weiß nie, wie es ausgeht. Apropos Fußball: Wagt man den Spagat zwischen der musikalischen und der sportlichen Europameisterschaft, fällt eines auf: Deutschland ist Dritter (hinter Griechenland und Schweden). Zumindest dann, wenn man eine eigene Wertung für die Länder macht, die sich für die EM im Juni in Portugal qualifiziert haben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort