Männer sind alle Verbrecher

TRIER. "Ausgrabungen" vergessener Stücke halten längst nicht immer, was man sich von ihnen verspricht. Anders bei den "Fées du Rhin": Das Theater Trier hilft, ein musikalisches Kleinod wieder ins Bewusstsein zu heben.

Der Anfang ist trügerisch. Da badet Offenbachs Ouvertüre ein entzücktes Publikum in den süßen Tönen der "Barcarole". Doch nach zwei Minuten bricht unvermittelt das Inferno herein. Brutal wandelt sich die Stimmung, Kriegsfanfaren überrollen die Sirenenklänge und bescheren dem Publikum ein Gefühl wie ein eisiger Wasserstrahl mitten in einer warmen Dusche. Das ist ein Offenbach, wie man ihn nicht kennt. Brachial, zornig begleitet sein musikalischer Hass die umherziehenden, marodierenden Landsknechte. Schon ihre geringste Erwähnung kommentiert der Komponist mit düsteren Untertönen, ihre Auftritte sind ein musikalisches Dokument der Bösartigkeit - nicht von jener funkelnd-eleganten Sorte wie Lindorf in Hoffmanns Erzählungen, sondern dumpf und abstoßend. "Fluch den Soldaten, Fluch all ihren Taten": Die bewegende Klage der trauernden Mutter Hedwig ist das inhaltliche Leitmotiv der Oper. Man kann aus der musikalischen Charakterisierung mit Fug und Recht eine antimilitaristische Grundaussage ableiten und in den Mittelpunkt der Interpretation stellen, so wie es Regisseur Bruno Berger-Gorski tut. Er traut der Musik mehr als dem konfusen Textbuch mit dem aufgesetzten Happy End. Wenig Raum für Hoffnung

Wo Offenbach Milde walten ließ, lässt Berger-Gorski wenig Raum für Hoffnung. Die Rückkehr des bei Kriegsgräueln getöteten Mädchens Armgard ins Leben, die Bekehrung der Soldaten Franz und Conrad, die Trost bringenden Zauberfeen: Alles nur ein Fieberwahn der schwer traumatisierten Hedwig. Dabei gelingen dem Regisseur und seiner Bühnenbilderin Karin Fritz in Zusammenarbeit mit den Video-Künstlern Malin Kundi und Illi Land-Boss plausible, bedrückende, bewegende Bilder, die das Publikum durchschütteln bis ins Mark. Bei einer (brutalen, aber keineswegs obszönen) Vergewaltigungszene gehen ein paar älteren Herren im Hochparkett die Nerven durch. Sie krakeelen in die laufende Szene hinein, brüllen "aufhören", "Schweinerei" und "primitiv" - als ob man solche immer noch realen Gräuel geschmackvoll zeigen könnte, ohne sie zu verharmlosen. Es sind vor allem Zuschauerinnen, die mit demonstrativem Beifall antworten. Kriegsgewalt ist zeitlos, Berger-Gorski zeigt den "Universal Soldier", dessen Handwerk immer zu Lasten der Schwachen geht, der Frauen und Kinder zumal. Und er arbeitet akribisch daran, auch da logisch und folgerichtig zu bleiben, wo er gegen das Libretto anspielt. Das geht so lange gut, wie er die Musik auf seiner Seite hat. Aber nach dem wundersamen Wandel, wenn Offenbach auch musikalisch auf das widersprüchliche Happy End zusteuert, fliegt das Konzept an manchen Stellen mit Karacho auseinander. Was tun, wenn der Komponist mitten in der tragischsten Regie-Phase einen neujahrskonzertverdächtigen Walzer komponiert hat? Berger-Gorski macht das Licht an und lässt an den Türen des Zuschauerraums martialische Wachmänner aufmarschieren. Das soll bedrohlich wirken, kommt aber eher aufgesetzt und mätzchenhaft daher. Wie vieles im dritten und vierten Akt. Aber wo die Regie ihre Schwachpunkte hat, entschädigen herausragende, auch durch die sorgfältige Personenführung ermöglichte Sänger-Leistungen. Es erschiene beckmesserisch, innerhalb des exzellenten Solistenquintetts eine Rangfolge aufzustellen. Vera Wenkert, durch das Regie-Konzept in eine zentrale Rolle gelangt, liefert als Hedwig eine darstellerisch wie sängerisch atemberaubende Studie der Verstörung, mit leidenschaftlichen Ausbrüchen und anrührend-leisen Tönen - und das im ungewohnten Mezzo-Fach. Jana Havranova (Armgard) wirkt anfangs noch beklommen, kein Wunder bei den Zumutungen der Rolle. Aber was sich dann heraus kristallisiert, ist eine schön timbrierte, gut geführte, ausdrucksvolle Sopran-Stimme, die lyrischen, koloraturgeprägten und dramatischen Passagen gleichermaßen gerecht wird.Rundum überzeugend: das Männertrio

Rundum überzeugend auch das Männer-Trio: Gor Arsenian, als schwer versehrter Kriegsheld nicht nur stimmlich souverän, sondern auch darstellerisch packend; Andreas Scheel ein kraftvoller Söldner-Hauptmann, der seiner Stimme erstaunliche Nuancen der Härte und Brutalität entlockt; Nico Wouterse, als kultiviert singender, glaubwürdiger Gottfried - der einzige Mann in diesem Stück, der kein Verbrecher ist. Ein Lob verdient sich auch der Chor, für sein enormes szenisches Engagement, bei dem freilich die Genauigkeit bisweilen auf der Strecke bleiben muss. Da hat es auch Dirigent Istvan Denes angesichts der komplizierten Bühnenabläufe manchmal schwer, den Laden zusammen zu halten. Aber der Zugriff stimmt: ein geschärfter, kontrastreicher Offenbach ohne Gefühlsduseleien, vom Orchester nach ein paar Aufwärmproblemen glanzvoll gemeistert. Kunstfertig auch die kaum merklichen Striche - immerhin haben Dénes und Musikdramaturg Peter Larsen das Stück um rund 45 Minuten gekürzt. Am Ende Ovationen für die Musik, Jubel und Buhs für die Regie, reichlich Diskussionen auf dem Heimweg. Ein Theater-Erlebnis, das keinen kalt lässt. Es muss ja nicht jeden Abend so sein - aber öfter mal wäre schön.

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