Mal Yale, mal Manderscheid

BITBURG. Der in Manderscheid lebende Sowjet-Experte Professor Wolfgang Leonhard ist am Donnerstagabend in Bitburg mit dem Eifel-Literatur-Preis-Spezial ausgezeichnet worden. Als Laudator würdigte Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher das Werk Leonhards.

"Ich verdanke Ihnen viel, darunter all die Einsichten und Analysen, um Geheimnisvolles besser zu verstehen." Wohl kaum ein anderer wäre prädestinierter gewesen als Hans-Dietrich Genscher, das Werk des Russland-Experten Wolfgang Leonhard im Bannstrahl politischer Mystifikation angemessen zu zentrieren. Der aus Halle stammende frühere Bundesaußenminister, 1989 maßgeblich an der Konstruktion der deutschen Einheit beteiligt, zeichnete den rund 300 schwitzenden Gästen im Bitburger Haus Beda eindrucksvoll die Stationen in der Schaffensphase Leonhards auf. Dessen exakt vor 50 Jahren im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienenes Buch "Die Revolution entlässt ihre Kinder" ist inzwischen längst zum Weltbestseller avanciert, allein in Deutschland mehr als 600 000 Mal verkauft, in zehn Fremdsprachen übersetzt und nun in der 22. Auflage immer noch gefragt. Kein Wunder, dass Leonhards alter Weggefährte ob dieser Zahlen und der Bedeutung des Werks eines heute 84-Jährigen ins Schwärmen geriet: Nach so vielen Auflagen und Jahren immer noch so putzmunter bei der Sache zu sein, das nötige ihm schon eine Menge Respekt ab, sächselte Genscher. In erster Linie jedoch zeigte sich der Liberale vom hohem Maß an Authentizität und nüchterner Analytik beeindruckt: "In seinem Buch beschönigt er nichts, er zeigt den Weg seiner Erkenntnis, des Umdenkens und des Aufbäumens." Das Wissen und die Weitsicht Leonhards beweise in besonderer Manier, dass es eben dieser Wolfgang Leonhard gewesen sei, der 1985 vorausgesagt habe, dass nach Konstantin Tschernenko und Juri Andropow der neue Präsident Michail Gorbatschow heißen würde. Genscher: "Schlag nach bei Leonhard, möchte man da sagen."Der passende Wein zum Buchjubiläum

Der zeigte sich ob der Inhaltsschwere und Leidenschaft in Genschers Laudatio durchaus beeindruckt. "Hans-Dietrich Genscher trifft genau, was mich bewegt hat und worauf es mir angekommen ist", dankte Leonhard seinem Freund, um das Lob stante pede zurückzugeben: "Genscher war der erste Politiker der westlichen Welt, der die Bedeutung Gorbatschows verstanden hat." Mit Blick auf Ministerpräsident Kurt Beck, der - passend zum Buchjubiläum - seine Aufwartung zuvor mit einem 1955er Koberner Fahrberg gemacht hatte, bestätigte Weltbürger Leonhard indes gerne, sich im rheinland-pfälzischen Teil der Eifel wohl zu fühlen. Zwar hät- ten ihn viele Leute bei seinem Umzug 1964 für verrückt erklärt, während er Visitenkarten bei sich getragen habe, die sowohl seine Adresse in Manderscheid als auch die in Yale verrieten; doch er habe schnell gelernt, die Eifel als einen ruhigen und friedlichen Ort zu genießen, in dem man vortrefflich Bücher schreiben könne. Und was bedeutet Leonhards Buch heute? "Wesentlich ist das Gelingen, nach den grauenhaften Jahren kein Buch des Hasses geschrieben zu haben", betonte der Autor. Denn: "Man muss zwischen dem System und der Bevölkerung unterscheiden." Heute allerdings sorge er sich um etwas anderes; nämlich um den Verlust der geschichtlichen Kontinuität, die ein Volk bisweilen wehrlos mache.

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