"Mal wieder auf einer Bühne stehen"

WORMS. Heute ist bei den Wormser Nibelungenfestspielen Premiere. Karin Beier präsentiert eine Neuinszenierung von Friedrich Hebbels Germanen-Epos. Joachim Król spielt darin König Gunther. Eine Begegnung mit dem Schauspieler in Worms.

Kein richtiger Kerl würde auf so ein Rad steigen: Lächerlich winzig das Vorderrad, und kaum steht das Gefährt, klappt es zusammen wie ein wackliger Campingtisch. Höchstens so einer wie Jakob Windisch, der schüchterne Poet aus "Rossini", käme vielleicht mit so einem Klapp-Drahtesel daher. Nun, der Edel-Italiener heißt nicht Rossini, sondern Carbonara, und die Spaghetti werden auch nicht in München serviert, wo die Leinwand-Schickeria tafelte, sondern im bodenständigen Worms. Der Radler aber, der mit umherirrenden Blick einen Stellplatz vor dem Restaurant für sein Faltrad sucht, gleicht Windisch aufs Haar. Er ist‘s ja auch. Genauer, des Dichters Darsteller: Joachim Król. Manchmal kommen sich Schauspieler und ihre Figuren doch erstaunlich nah.Germanenepos als gigantisches Freilichtspiel

Der Star der diesjährigen Nibelungenfestspiele kurvt derzeit regelmäßig quer durch Worms. Spätabends, nach elf, meist vom Dom, wo von heute an das Germanen-Epos als gigantisches Freilichtspiel läuft, zum Stammlokal der Film- und Fernseh-bekannten Festspieltruppe. Weder späte Stunde noch fünf Wochen Probenzeit haben Król ermattet. Mit warmer, weicher Stimme erzählt er voll Begeisterung von der Arbeit an dem sagenhaften Werk. Für Król sind die Nibelungen-Festspiele Neuland. Den Burgunder-König Gunther spielt er. Reizte ihn der Stoff, der übergroße Mythos? War der Gunther gar eine Wunschrolle? Eher eine Liebe auf den zweiten Blick, gesteht der 47-Jährige. Mehr als ein paar Jugenderinnerungen an "dicke rote Bände mit deutschen Ritter- und Heldensagen" waren die Nibelungen für ihn zunächst nicht. Dem Stück, sagt er unverblümt, galt denn auch erst seine zweite Frage, als Regisseurin Karin Beier anrief, mit der er schon Tschechows "Kirschgarten" fürs Theater erabeitete. "Schließlich ist das ja auch mein Sommer hier", meint er. "Da wollte ich schon hören, wo bin ich da, und mit wem hab ich‘s zu tun." Als klar war, dass auch befreundete Kollegen wie Josef Ostendorf, Maria Schrader und Manfred Zapatka dabei sind, nahm er gern an. Die Stimmung sei auch ein bisschen wie im Ferienlager, lächelt er verschmitzt. Arbeit war‘s natürlich auch, und nicht zu knapp. Schließlich inszeniert Karin Beier jetzt erstmals die Nibelungen in der Fassung von Friedrich Hebbel, die 1861 uraufgeführt wurde. Ein "Textgebirge", stöhnt Król. "Gut gesprochen und scharf gedacht, transportiert sich das aber auch auf einer Riesenbühne", ist er sich sicher. "Scharfes" Nachdenken hieß vor allem zu fragen: "Auf welche Weise zeigt Hebbel in unsere Zeit?" Da fand Król bei den alten Nibelungen ganz "ähnliche Mechanismen wie auch heute in der Politik". Seine Figur, der Gunther, sei etwa so einer, "der einfach eine Geschichte anstößt, ohne sich über die Konsequenzen Gedanken zu machen. Er hört von Brunhild und denkt, die hol‘ ich mir, egal, was es kostet". Gunther ist also ein Machtmensch, der sich einfach nimmt, was er will. Das ist ein ganz anderer Typ als der schüchterne Dichter Windisch oder Fernseh-Feingeist Brunetti. Ganz anders als die Stillen und die Sonderlinge, die so etwas wie Króls Markenzeichen sind. Wollte er die Rolle des Gunther vielleicht just deshalb - als Kontrapunkt? Quatsch, entgegnet Król. Und weg ist sein Knuddel-Charme. Hart schaut er jetzt, angriffslustig wie der Killer, den er in "Lautlos" spielte. Er nehme keine Rolle an, "nur um sich von irgendwas zu emanzipieren". Schubladen-Denken ist ihm zuwider. Nein, etwas anderes schätzt Król an seinem Nibelungen-Sommer. Mal wieder auf einer Bühne zu stehen nämlich. Zurückzukehren zu seinen Theater-Wurzeln, dorthin wo für den Jungen aus dem Ruhrgebiet, aus Herne, alles anfing - Bochum und Moers waren seine ersten Bühnen-Etappen. Vor dem Kino und dem Fernsehen, die ihm den großen Namen bescherten, bleibe das Theater seine Passion. "Daher kommt für mich alles. Weil ich gutes Theater gesehen habe, wollte ich Schauspieler werden", meint Król.Unfälle bremsen die Spielleidenschaft nicht

Sagt‘s, schwingt sich auf sein komisches Rad und fährt nochmal zum Dom. "Die wollen noch anderes Licht ausprobieren, das muss ich mir unbedingt ansehen." Kurz nach Mitternacht ist es. Wahre Theater-Leidenschaft eben. Die zeigte sich auch, als Król und seine Kollegin Wiebke Puls sich bei einer Probe verletzten: Puls brach sich das Nasenbein, Król erlitt eine Platzwunde am Kopf. Beide waren nacheinander in eine Öffnung im Bühnenbild getreten und zwei Meter hinabgestürzt. Wiebke Puls musste operiert werden, ist inzwischen aber aus dem Krankenhaus entlassen. Król stand bereits am nächsten Tag wieder auf der Bühne.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort