"Malen bedeutet Freiheit"

WEISSENSEIFEN. Malen hat sie frei gemacht. Die Kaiser-Lothar-Preisträgerin Antonia Berning feiert heute ihren 85. Geburtstag – aber ist dennoch jung geblieben.

"Entweder sie kommt zurück, oder sie ist nicht ganz richtig im Kopf", hatte die Mutter prophezeit. Wenn Antonia Berning die Geschichte ihrer "Aussiedlung" nach Weißenseifen erzählt, kann man die mütterliche Entrüstung in ihrem Gesicht lesen. Die Malerin aus der Eifel erzählt spannend. Stundenlang mag man ihr zuhören. Eigentlich sind es ihre Augen, denen man zuhört. Jene jung gebliebenen Augen, in denen der Schalk sitzt, die sprühen und so herrlich lachen können oder warm leuchten, und die dennoch ihr Gegenüber genau im Blick haben. Und es sind auch ihre Augen, die jene Farben sammeln, die das Werk der Künstlerin klangvoll und vielstimmig machen. Unter der Glaskuppel sieht sie nachts die Sterne

Natürlich ist Antonia Berning nicht zurückgekommen. Wer mit ihr im Wohnraum ihres eigenwilligen Hauses sitzt, der auch gleichzeitig Atelier ist, hat es begriffen. Unter der Glaskuppel, durch die sie bei Nacht die Sterne sieht, hinter dem großen Fenster zum Garten und zwischen all den vielfarbigen Bildern, ist Antonia Berning zu Hause. Draußen ist drinnen und drinnen ist draußen in diesem Malerleben. "Ich male die Farbe aus mir heraus", erklärt die Künstlerin. Was sie im Gegenzug draußen an Eindrücken sammelt, verwandelt und bevorratet sie als Farbe in ihrem Innern. Ein paar Schritte weiter hat sie ein eigenes Atelierhaus für ihre großen Formate gebaut. Wie ein nach außen gelagerter Farbraum ihrer Seele wirkt der lichte Bau mit seinen "Bilderwänden". Malerin zu werden war für die 1921 geborene Westfälin aus Coesfeld schon als Kind klar. Die Eltern, lebenspraktische Geschäftsleute, waren von den "Fisimatenten" ihrer Tochter weniger begeistert. Am Ende durfte Antonia in Münster Grafik studieren. Ausgerechnet im Kriegsjahr 1943 nahm sie ihren Rucksack und machte sich auf, eine Kunstakademie zu suchen. In Prag wurde sie fündig. Nach dem Krieg setzte sie ihr Studium in Düsseldorf fort. Auch da hatte sie ihr eigenes Bild im Kopf. Als sie grün und rot färbte, was ihr akademischer Lehrer in getragenem Kammerton wünschte, war es wieder Zeit, den Rucksack zu nehmen. Die angehende Malerin wechselte zu Otto Pankok und in die Bildhauerklasse von Ewald Mataré. Dort wurde Joseph Beuys ihr Kommilitone und auch der Bildhauer Guenther Mancke, der bis heute ihr Nachbar in Weißenseifen ist. "Joseph war unbekümmert", erinnert sich die Künstlerin an den einstigen Weggefährten. "Aber das waren wir alle und natürlich überzeugt, dass all das Akademische gar keine richtige Kunst war." 1949 zog sie in das einsame Waldstück

Zurück zur Natur: Wieder nahm Antonia Berning ihren Rucksack und siedelte 1949 aus der lärmenden Stadt am Rhein mit dem Ehepaar Mancke in dem einsamen Waldstück in der Eifel, wo sie bis heute lebt. Der Anfang war schwer, die erste Unterkunft dürftig: "Aber die Leute waren sehr nett zu uns. Und die Landschaft war einfach wunderbar." Mit ein paar geschenkten Werkzeugen hielt sich die Künstlerin über Wasser, fertigte Grabsteine und Kerzenleuchter. Der Malerei, ihrer großen Liebe, blieb sie dennoch treu. 1991 wurde sie dafür mit dem Kaiser-Lothar-Preis geehrt. Was denn das Malen so unvergleichlich macht? Einen Augenblick zögert sie, um dann, als ob sie ein lang gehütetes Geheimnis preisgäbe, zu antworten: "Malen bedeutet Freiheit. Im Bild kann man eine ganz neue Welt schaffen." Draußen am Zaun warnt ein Schild "Durchgang verboten" mit einem Loch darunter, gerade groß genug, um hindurchzuschlüpfen. "Das passt zu mir", lacht Antonia Berning.

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