"Manche Aureblecke verjisste nie"

Trier · Sie haben den Stecker gezogen und ihre Lieder in neue akustische Arrangements gepackt. Wie umwerfend gut das Wolfgang Niedecken und seiner Band BAP steht, haben 1800 Fans beim ausverkauften Open-Air-Konzert im Amphitheater Trier erlebt. Dass es dabei bis zur Halbzeit in Strömen regnete, tat dem stimmungsvollen Ereignis keinen Abbruch.

 Noch intensiver: Wolfgang Niedecken und BAP, mit im Bild Perkussionist Rhani Krija, spielen ihre Songs in Trier in neuen Arrangements. TV-Foto: Anke Emmerling

Noch intensiver: Wolfgang Niedecken und BAP, mit im Bild Perkussionist Rhani Krija, spielen ihre Songs in Trier in neuen Arrangements. TV-Foto: Anke Emmerling

Trier. Kurz vor Konzertbeginn öffnen sich alle Schleusen des Himmels, es gießt in Strömen, der Boden des Amphitheaters wird zu gelbem Morast. Doch unter den Zuschauern macht sich eine optimistische Jetzt-erst-recht-Haltung bemerkbar. Sie werfen sich durchsichtige oder knallbunte Regenhüllen über, einer sogar eine Flagge mit dem Kölner Stadtwappen. Es wird unter Schirmen gekuschelt und viel gelacht.
Und dann folgen knapp drei Stunden Musik, die gar keine andere Wahl mehr lassen, als guter Stimmung zu sein. BAP spielen ein gefühlvoll zusammengestelltes Programm aus 26 Titeln, in dem sich Bekanntes mit Raritäten und neuem Material abwechselt.Intime Wohnzimmeratmosphäre


Frontmann Wolfgang Niedecken hat nach seinem Schlaganfall Lieder, an denen ihm viel liegt, überarbeitet und in Akustikversionen umarrangiert. Er verspricht eine musikalische Weltreise. Sie fängt mit der nachdenklichen Ballade "Noh All Dänne Johre" an, die mit sanften Gitarrenklängen intime Wohnzimmeratmosphäre von BAPs Nabel der Welt, Köln, verströmt. Aber dann geht es, begleitet von Erzählungen Niedeckens, wirklich hinaus, erst an den "Bahndamm", später dann nach Marokko, wo "Magdalena" entstand. In einer Serie von Stücken mit Frauennamen wird dieses durch sein orientalisches Flair und vor allem die fabelhafte Rhythmusarbeit des marokkanischen Perkussionisten Rhani Krija zum Höhepunkt.
Im Latin-Stil folgt "Shoeshine", das in Costa Rica geschrieben wurde. Da hört der Regen auf, die Kölsche Flagge hat ausgedient, ihr Träger auch, er wird wegen massiver Störung von Niedecken unmissverständlich hinauskomplimentiert.
Dann entführt "Gulu" nach Afrika zu Kindersoldaten, denen Niedecken mit seinem Projekt "Rebound" ein neues Leben ermöglicht. Die Welten, um die es in diesen und Songs wie "Nöher", "Oleander", "Souvenirs", "Novembermorje" oder dem zuletzt 1986 gespielten "Lisa" geht, vermitteln sich nicht nur durch rhythmische und melodische Überarbeitung. Niedeckens sechs Begleitmusiker setzen auch ein ganzes Arsenal teils exotischer Instrumente dazu ein. Anne de Wolff zum Beispiel steuert neben klassischen Streichinstrumenten noch Mandoline, Posaune oder gar indisches Harmonium bei. Ihr Ehemann Ulrich Rode wechselt die Gitarre schon mal mit einem türkischen Saiteninstrument, Michael Nass sein Piano mit dem Akkordeon.Zeitlos gute Musik


Diese Bereicherung mit nuancierten Klangfarben tut den Liedern ausgesprochen gut, schält die zeitlose Substanz aus ihnen heraus und gibt ihr intensiv Ausdruck. Selbst Altbekanntes bekommt eine ganz neue Dimension. Ganz tief berührend im neuen Gewand zum Beispiel das Doppelpack der politischen Lieder "Jupp" und "Kristallnaach". Letzteres hat seinen allzu oft als Tanz- und Klatschstück missverstandenen Charakter verloren, geht mit Sirenengeräuschen unter die Haut. Auch der Gassenhauer "Verdamp lang her" hat sich verändert, kommt mit Bass-Solo-Intro weicher und leiser daher. Es ist, als sei BAPs Musik mit Niedecken und seinem Publikum gereift. Sie sprechen die Seele an, diese Lieder, sind einfach schön. Und wenn Niedecken von "Aureblecke" (Augenblicken) singt, die einem keiner mehr nehmen kann - dieser Abend ist einer davon.

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