Mehr Genuss, weniger Risiko

Nach mehreren experimentierfreudigen Spielzeiten setzt der Theater-Spielplan 2008 von der Stücke-Auswahl eher auf Bewährtes und Beliebtes. Zeitgenössische Angebote wandern ins Studio.

Trier. "Wir bieten in der nächsten Saison mehr Kulinarisches", verspricht Intendant Gerhard Weber, "nachdem wir in der noch laufenden Spielzeit einige hohe Risiken eingegangen sind". Der Theater-Chef versichert aber im gleichen Atemzug, man wolle nicht nur Gefälliges zeigen. Entscheidend sei nicht nur die "zugegebenermaßen populäre Stückauswahl", sondern auch "die Art der szenischen Umsetzung". Und da sei das Trierer Publikum inzwischen bereit, "auch zugespitzte Bilder und Konzepte zu akzeptieren"."Romeo und Julia" kommt wieder

Mit "Hoffmanns Erzählungen", "Lucia di Lammermoor" und Weills "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" stehen drei Klassiker auf dem Opern-Spielplan, der erstmals vom neuen Generalmusikdirektor Victor Puhl realisiert wird. Der vierte Opern-Platz wird mit "Anatevka" einem beliebten Musical geopfert, für Operetten-Fans öffnet einmal mehr das "Weiße Rössl". Im Schauspiel kommen "Romeo und Julia" wieder, dazu O'Neills "Eines langen Tages Reise in die Nacht" und Zuckmayers "Des Teufels General". Jüngstes Stück im Großen Haus ist Dale Wassermans "Einer flog übers Kuckucksnest" aus den frühen Sechzigern - ein besonderer Wunsch des Ensembles, wie der Intendant verrät. Dazu kommt mit "Männer" zum ersten Mal eine der landauf, landab beliebten Song-Revuen von Franz Wittenbrink.Das Tanz-Theater widmet sich nach Jacques Brel nun Edith Piaf, und Sven Grützmacher wagt den Versuch, mit "Schwanensee" einen Ballett-Klassiker ins www-Zeitalter zu übersetzen. Aktuelle Stücke von Richard Alfieri und Martin Heckmanns zeigt das Studio.Ein kräftiges Pfund ist das Angebot für Kinder, Jugendliche und Familien. Als Weihnachts-Klassiker kommt der "Zauberer von Oz", dazu eine 70-Minuten-Family-Version der "Zauberflöte" (mit großem Orchester) und das Familien-Musical "Emil und die Detektive". Geplant ist auch eine Nachfolge-Produktion für das erfolgreiche Kinder-Ballett "Max und Moritz". Dazu kommt mit "Mamma Monster" ein neues "Klassenzimmerstück".Deutliches Zeichen für die neue Leichtigkeit des Hauses ist der Verzicht auf einen programmatischen Slogan, der dem Spielplan ein Rahmen-Thema voranstellt. Mit "Realität und Fantasie" habe das Programm einiges zu tun, sagen die Dramaturgen Peter Oppermann und Peter Larsen. Aber offenbar will man dem Publikum einen allzu intellektuellen Überbau derzeit nicht zumuten. Für letzteren könnten freilich einige interessante Regie-Besetzungen sorgen. So wird sich Choreographin Birgit Scherzer mit "Hoffmanns Erzählungen" auseinandersetzen, und Thilo Reinhardt, mit außergewöhnlichen Arbeiten im Merziger Opernzelt hervorgetreten, übernimmt "Mahagonny". Jean Renshaw setzte "Piaf" in Szene, Comedy-Spezialist Jürgen Lorenzen fliegt nach dem Wahnsinn von "Ladies Night" und "Offene Zweierbeziehung" diesmal übers Kuckucksnest.Fortgesetzt wird die Kooperation mit Trierer Künstlern und Spielorten. So wird Helmut Leiendecker bei "Männer" mit dabei sein, Florence Absolu gibt bei "Piaf" ihr Debüt als Theater-Sängerin, Guildo Horn gastiert mit einem musikalischen Kammerspiel. Das Café Lübke bleibt langfristig Theater-Location, und mit dem Forum will Gerhard Weber bei seinem "Romeo und Julia"-Konzept zusammenarbeiten. Auch im Ensemble ist Bewegung

Auch im Theater-Ensemble ist Bewegung. Gor Arsenian, Juri Zinovenko und Thomas Schobert scheiden aus der Sänger-Truppe aus, dafür kommt der Bassist Pavel Czekala neu. Ansonsten setzt das Haus eher auf Stück-Verträge mit wechselnden Gästen. So kommt als "Hoffmann" der exzellente Walküren-Siegmund Wolfgang Schwaninger wieder. In "Anatevka" gastiert die Schlagersängerin Dunja Rajter. Das Musiktheater-Repertoire signalisiert weitere Schwerpunkt-Verlagerungen. So gehört zwar Vera Wenkert weiter zum Ensemble, spielt aber in der Stück-Auswahl als dramatischer Sopran keine große Rolle. Dafür darf Adreana Kraschewski als "Lucia di Lammermoor" in einer Traumrolle brillieren. Im Schauspiel-Team heißt es Abschied nehmen von Claudia Felix. Zwei ambitionierte Projekte würde das Theater gerne angehen, kämpft aber noch um die nötigen Mittel: Das "Total Theatre"-Festival der Großregion soll fortgesetzt und ein Festival für zeitgenössische Kammer-Oper etabliert werden. Meinung Theater muss unbequem sein Ein bisschen Rückschritt ist es schon. Keine Opern-Uraufführung oder -Entdeckung, kein zeitgenössisches Schauspiel im großen Haus: Nachdem das Trierer Theater in den letzten Jahren deutliche Signale an ein neues Publikum ausgesandt hatte, will man sich nun offenbar wieder mehr dem klassischen Landkreis-Abonnenten zuwenden. Verständlich ist das schon, denn Novitäten haben es sichtlich schwer in Trier. Aber die Kurs-Änderung ist auch nicht ohne Risiko. Weil es sein könnte, dass aufgeschlossenere Zuschauer, die frisch dazugekommen sind, wieder wegbleiben - und die verschreckten Traditions-Besucher trotzdem nicht wiederkommen. Will Intendant Weber dieser Gefahr begegnen, muss er anhand der Bühnen- und Regiekonzepte überzeugend deutlich machen, dass eine populäre Stück-Auswahl keinen Verzicht auf sperriges, in-Frage-stellendes Theater bedeutet. Kulinarik ins Große Haus, Provokantes ins Studio-Getto: Das wäre bequem, aber nicht zukunftsweisend. Öffentliches Theater muss unbequem sein, sonst verliert es seine Legitimation. Ohne Frage zukunftsweisend ist der Ausbau des Kinder-, Jugend- und Familienangebotes. Hier geht das Trierer Theater seinen richtigen Weg weiter. Ebenso wie bei der Kooperation mit Institutionen und Künstlern vor Ort. Da sind die Möglichkeiten noch längst nicht ausgereizt. d.lintz@volksfreund.de

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