Melancholie unter Halogenstrahlern

TRIER. Es lebe das Experiment! Bei aller Kompetenz: Im Hübner-Jazzfest wurden nicht nur fertige Ergebnisse präsentiert, sondern vor allem interessante Ideen.

Zwei Musiker fragten und ein Klavierbaumeister sagte Ja - und schon war das Hübner-Jazzfest komplett. Im Pianohaus räumte man eine Etage leer und bot alle Sitzgelegenheiten auf, einschließlich etlicher Klavierhocker. Das war nicht das große Konzert-Ambiente, aber das rechte Forum fürs Experiment, für neue Ideen. Eine Werkstatt für Klaviere mutierte zur Werkstatt für Musik. Entsprechend liefen auch die beiden Konzerte ab. In der ersten Veranstaltung brillierten Pianist Georg Ruby und Stefan Bauer am Marimbaphon. Wobei das Echo auf die beiden exzellenten Musiker nicht ganz ungeteilt war - neben Begeisterung über deren Virtuosität und Einfallsreichtum gab es auch Bekundungen emotionaler Distanz. Das gehört wohl zum Experiment. Alban Berg mit Wiener Décadence

Mehr Experimente noch fanden am zweiten Abend statt. "Mal sehen, ob es funktioniert" sagte Heinrich Thiel, der sich in der Dreifachrolle als Sänger, Pianist und Conférencier fast überfordert hätte, und spielte Alban Bergs einsätzige Klaviersonate op. 1 mit einem Zug Wiener Décadence. Nicht die großartige Konstruktion der Sonate stand im Mittelpunkt, sondern die Abgesang-Stimmung. Es ging tränenreich zu im ersten Teil des Konzerts, und Bergs Sonate war dazu der Einstieg. Erstaunlich, wie nahtlos die US-Songs, unter anderem von Cole Porter, Jerome Kern und George Gershwin, dazu passen. Da tobt sich die erotische Traurigkeit geradezu aus. Wobei Heinrich Thiel einen dezenten, ja kammermusikalischen Sänger-Tonfall kultivierte und Marc Mangen am Klavier mit Transparenz und rhythmischer Prägnanz glänzte - literarisch-musikalische Tristesse hat nichts zu tun mit trivialer Sentimentalität. Ganz so konnte es natürlich nicht weitergehen. Darum griff Thiel mit "El Albaicin" aus Isaac Albeniz' Klavier-Suite "Iberia" kräftig und gekonnt in die Tasten, unterschlug vielleicht etwas vom spanischen Kolorit. Marc Mangen tat als Begleiter wie als Solist unauffällig, aber präzise sein Teil dazu, und der Sänger Thiel, mit der Zeit immer ausdrucksvoller, entdeckte in den folgenden US-Songs den Humor - natürlich den gefühlvollen. Der distanzierte sich von Gefühlsduselei und angedrehtem Schwung. Ehrliche Musik. Und eine erstaunliche Konvergenz zwischen scheinbar unvereinbaren Stilen. Das kam an, obwohl die Halogenstrahler im Hübner-Haus nicht gerade zu dieser Musik passen. Manche Besucher lauschten mit geschlossenen Augen, wobei der Moderator feststellte, dass er von "suicidalen Anwandlungen" nichts bemerkt habe. Der "Werther"-Effekt blieb also aus. Bekanntlich hatte Goethes Roman eine Selbstmordwelle ausgelöst.

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