Mensch…Andrea Ypsilanti

So schnell kann das gehen in dieser Schlangengrube Politik: Gestern noch die verulkte "Frau XY", heute die Lichtgestalt aller gebeutelten Sozis, die Hoffnungsträgerin der Jüttners, Magets oder wie immer diese geborenen Verlierer in den SPD-Provinzen heißen, an deren Namen sich morgen sowieso keiner mehr erinnert.

Aber ganz ehrlich gesagt: Als ich Sie am Sonntag so pausenlos im Fokus der Kameras gesehen habe, kam mir der Gedanke, dass ich Sie, wären Sie mir am Samstag in der Trierer Fußgängerzone begegnet, gar nicht erkannt hätte. Trotz monatelangen Wahlkampfs. Sie haben so was ausgeprägt Unauffälliges, so wie einst die nette Avon-Beraterin oder die freundliche Frau vom Elternbeirat oder die engagierte Pfarrhelferin. Mit Charisma verbindet man irgendwie was anderes. Aber die Leute wählen zurzeit offenkundig bevorzugt das, was ihnen aus der Nachbarschaft oder der Familie bekannt vorkommt: Den Lieblingsschwiegersohn-Typ à la Christian Wulff, die kluge Tante Marke Angela Merkel oder den sympathischen Kumpel Peter Müller. Poltrige Vettern wie Roland Koch, die beim Kommunions-Kaffee Streit mit der entfernteren Verwandschaft vom Zaun brechen, sind dagegen gar nicht gerne gesehen.Vielleicht hängt der Trend zum Hausbackenen damit zusammen, dass die Leute von den gestylten Armani-Schaumschlägern und brillanten Rhethorik-Pirouettendrehern wie Schröder, Merz und Fischer einfach die Nase voll haben. So was gönnt sich höchstens noch die Bundeshauptstadt mit ihrem Regierenden Partymeister Wowereit. Und nicht nur in Deutschland hat der Wind gedreht: Italien hat den eitlen Silvio in Rente geschickt, Großbritannien den schönen Tony. Aus der Europa-Riege der alten Selbstdarsteller ist nur noch Wladimir in Moskau übrig, allerdings frisch verstärkt durch Pfau Nicolas in Paris. Aber der verliert schon die ersten Federn.Da loben wir uns doch die neue deutsche Gutbürgerlichkeit, sei sie nun christlich-ländlich geprägt wie bei Angela aus der Uckermark oder alternativ-großstädtisch wie bei Andrea aus Frankfurt. Und von der Merkel können Sie auch sonst einiges lernen, zum Beispiel, wie man die eigene Unauffälligkeit nutzt, um ohne viel Aufhebens an all den Gockeln vorbeizuziehen. Um dann, oben angekommen, statt viel Wind einfach gute Arbeit zu machen. Aber dafür müssen Sie erst mal oben sein. Und da reicht es nicht, am Wahlabend zu früh zu jubeln (Fragen Sie mal Edi Stoiber, der kennt das). Zurzeit muss man ja eher fürchten, dass Sie mit Ihrer ganzen Euphorie am Ende als Ferien-Aushilfs-Ministerpräsidentin hinter einer politischen Blendgranate wie CDU-Verteidigungsminister Jung landen. Das, liebe Frau Ypsilanti, wäre dann aber wirklich der Bescheidenheit zu viel. Dieter Lintz

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